Page 248 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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246                 V.  Kapitel:  D er H eros als M essias


              Hölderlins  mythomessianischer  Entwurf eines  „neuen  Achill“  in  Nachfolge
          und  Überwindung des  homerischen  Helden  wirft  auch  ein  ganz  neues  Licht  auf
          die  ganz  späten  Achillapotheosen,  wie  z. B.  in  ‘Die  Nymphe  Mnemosyne’
          (BG  1989:  161;  Umschrift  der  letzten  Fassung  H 3,  z. T.  in  Reinschrift).  Auch
          diese Hymne muß im mythomessianischen Sinne verstanden werden:  im Zeichen
          von „Kreuze“ (ebd. V. 46) und „Feigenbaum“ (V. 52).229 Stoische Ekpyrosis im Bild

          des Pferdegespanns der Elemente und biblische Apokalypsis verwebt Hölderlin in
          ‘Mnemosyne’  zu  einer  großartigen  Textur  (vgl.  ebd.  VV.  9-12  bzw.  22-25  und
          Schmidt  KHA  I: 793;  821;  1037).  Die  Edition  Dietrich  Uffhausens  bewahrt  die
          „apokalyptische“  (zweite)  Strophe der Hymne.  Führt  man  zwei  gnomische Verse
          aus  ‘Mnemosyne’  eng,  so  ergibt  sich  aus  dieser  Achill-Beschwörung  eine  Art
          Kurzformel  von Hölderlins  messianischer Überwindung der tragischen  „Trauer“
          im Zeichen des „Einen“:
                        [...] Zweifellos
                        Ist aber Einer,  (ebd. VV.  25f.)
                        [...] dem
                        Gleich fehlet die Trauer.  (W .  16f.)









              verkündet  es  die  religiöse  Erwartung  in  spätjüdischer  Tradition.  Nicht  anders  endet  die
              Erzählung  von  der  Heimkehr  des  Odysseus  mit  einem  mythischen  Wiederbeginn.  Was
              dem Zeitalter der .Utopie“ verlorenging, kann ihm die Religion in Form der Apokatastasis,
              Wiederherstellung von allem, zurückgeben.“ (vgl. Strauß 1996/97:  1)
           229  Eine detaillierte Deutung der Motive von „Kreuz“ und „Feigenbaum“  auf eigener editori-
              scher Grundlange vgl. Roland-Jensen 1989: 9-19;  171-193.
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