Page 7 - Robert Charlier: Goethe als Übersetzer (Preprint; 2009)
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Robert Charlier: Goethe als Übersetzer
Aspekte digitaler Quellenbearbeitung
Eine zeitlebens lebendige Inspirationsquelle Goethes bilden seine kongenialen
Übersetzungen und Bearbeitungen. Darunter befindet sich Weltliteratur aus dem
Altgriechischen, Lateinischen, Italienischen und Französischen. Die lexikografische
Beschreibung von Goethes Wortschatz im Rahmen eines Autorenwörterbuchs
verlangt daher bei der Bedeutungsangabe einzelner Wörter aus Übertragungen,
Bühnenbearbeitungen oder Nachdichtungen die Berücksichtigung der
entsprechenden Wortformen der fremdsprachigen Textquelle. Deshalb besitzt das
Goethe-Wörterbuch als synchroner Thesaurus eines einzigartigen
Individualwortschatzes ein mehrschichtiges Textkorpus auf der Ebene der
Objektsprache. Dabei handelt es sich nicht nur um die vielen Textsorten des
Goetheschen Œuvres (Dichtungen, naturwissenschaftliche und ästhetische
Schriften, Briefwechsel, Tagebücher und bezeugte Gespräche), sondern auch um
die Vorlagen- oder Quellentexte des regen Übersetzers Goethe. Das
sprachenübergreifende Schaffen des Dichters wird dabei vor dem Hintergrund der
aktuellen Bemühungen beleuchtet, die wissenschaftliche Darstellung von Goethes
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Gesamtwortschatz in digitalisierter Form verfügbar zu machen.
Wie im Titel angedeutet, kann der Beitrag thematisch auch als Fortführung
meines Aufsatzes über die „Aspekte prospektiver Digitalisierung“ am Beispiel der
Goethe-Lexikografie gelesen werden. 2 Einige wenige Passagen des vorliegenden
Beitrages greifen diesen Aufsatz im Wortlaut auf.
Die Geburt der Lexikografie aus dem Geist der Übersetzung
Historisch sind die einsprachigen Wörterbücher aus den zweisprachigen
hervorgegangen. 3 Die frühmittelalterliche Glossografie verkörpert nämlich den
Ursprung des „Diktionärs“, wie Goethe noch in Anlehnung an die französische
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Enzyklopädik zu sagen pflegte, aus den zwei- oder mehrsprachigen Wortsynopsen.
Noch das Teutsch-Lateinische Wörterbuch von Johann Leonhard Frisch von 1741
markiert als Dokument der Fremdsprachenlexikografie und gewissermaßen erster
Wortschatz des Neuhochdeutschen diesen Verzweigungsprozess. 5 Die
fremdsprachenbezogene Herkunft aller Wörterbücher ist in der Goethe-Lexikografie
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