Page 11 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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Goethe und Iffland




                        Am 22. September 1814 starb August Wilhelm Iffland in Berlin. In
                        jenem  Jahr  stand  er  als  Intendant,  Schauspieler  und  Bühnenautor
                        auf dem  Gipfelpunkt  seines Schaffens.  In  Mitteleuropa hatten  die
                        Freiheitskriege den ›Umsturz des Umstürzlers‹ der alten Ordnung,
                        Napoléon Bonaparte, eingeleitet. Noch im Mai 1814 hatte  Iffland
                        bei Goethe ersucht, ein Festspiel auf die siegreiche Beendigung der
                        Freiheitskriege für das Berliner Theater zu verfassen. Innerhalb von
                        nur wenigen Wochen schuf der 65-jährige Goethe daraufhin seinen
                        Epimenides.  Schon  im  darauffolgenden  Jahr  1815  sollte  die

                        Schlacht bei Waterloo, die zweite vormoderne ›Weltkriegsschlacht‹
                        nach  der  Völkerschlacht  bei  Leipzig  1813,  das  Schicksal  des
                        Kaisers  der  Franzosen  endgültig  besiegeln.  Noch  im  gleichen
                        Epochenjahr  begründete  der  Wiener  Kongress  die  fundamentale
                        Neuordnung Europas.
                           Als  Schauspieler  war  Iffland  einer  der  meistengagierten  und
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                        erfolgreichsten  Bühnenkünstler  der  Goethezeit.   Überanstrengung
                        und  Erschöpfung  durch  wiederholte  Gastspielreisen  hatten  die
                        Gesundheit  des  55-Jährigen  zu  diesem  Zeitpunkt  bereits  ruiniert.
                        Allein  der  Blick  zurück  auf  den  letzten  Abschnitt  von  Ifflands
                        Theaterkarriere  macht  offenbar,  welch  körperlichen  Tribut  eine
                        solche  Erfolgsgeschichte  einfordern  musste!  Im  November  1796
                        war  Iffland  zum  Theaterleiter  des  Komödienhauses  nach  Berlin
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                        berufen  worden.   Mit  seiner  Leitung  des  Nationaltheaters  am

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                           Etwa im Unterschied zu seinem Lehrer und Vorbild Hans Conrad Dietrich
                           Ekhof  (1720-1778),  einem  der  berühmtesten  deutschen  Schauspieler  des
                           18. Jahrhunderts.  Hier  und  im  Folgenden  versteht  sich  der  Begriff
                           ›Goethezeit‹ im engeren Sinne: als die Goethes Lebensspanne (1749-1832)
                           einbegreifende Epoche zwischen 1750 und 1830.

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                           Ifflands  Berufung  erfolgte  am  14.  November  1796  auf  Vermittlung  des
                           preußischen Hofkämmerers Rietz, kraft Kabinettsorder von König Friedrich
                           Wilhelm II., der im Folgejahr verstarb. Am 31. Dezember 1801 wurde das
                           ›alte‹ National-Theater geschlossen (vgl. Curt Müller 1910, S. 74). Hervor-
                           gegangen  war  diese  erste  bedeutende  Bühne  für  das  deutschsprachige
                           Theater  in  Berlin  aus  dem  französischen  Komödienhaus  am  Gendar-
                           menmarkt,  das  Friedrich  Wilhelm  im Jahr 1786 entsprechend umwandeln
                           ließ.  Erster  Direktor  dieses  Berliner  ›Nationaltheaters‹  war  der  Prinzipal






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