Page 15 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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Der heutige Leser gewinnt bei der Lektüre der Ifflandschen
Dialoge den Eindruck, er habe den Vorläufer eines modernen Film-
drehbuches vor sich. Dabei hat Iffland als Theoretiker und Praktiker
des Theaters immer wieder betont, dass er seine Dramentexte aus-
schließlich als lebendig aufgeführte, also als gesprochenes Wort auf
der Bühne erlebt und beurteilt wissen wollte! Im Unterschied zum
gehobenen bürgerlichen Trauerspiel eines Schiller oder Lessing, vor
allem aber auch im Gegensatz zum antikisierenden Drama der
Weimarer Klassik, wie z. B. Goethes Iphigenie oder Torquato
Tasso, spielte für Iffland die gedruckte ›literarische‹ Form seiner
Bühnentexte nur eine sehr untergeordnete Rolle. So wurden seine
Erfolgsstücke nicht nur auf den Theatern der Goethezeit zu echten
Spielplanrennern. Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts blieben
sie beliebt. Ein Stück wie Die Jäger hielt sich noch bis in die
Gründerzeit erfolgreich im Repertoire von Berlin, Mannheim und
Wien. Diese Art von bürgerlichem Unterhaltungsdrama mag heute
nicht mehr gespielt werden. Der Text eines typischen Iffland-
Stückes wie Die Jäger. Ein ländliches Sittengemälde in fünf
Aufzügen zählt jedoch auch heute noch zum erweiterten deutsch-
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sprachigen Literaturkanon des Zeitraums von etwa 1600 bis 1900.
Zu Ifflands genannten Verdiensten trat dessen emsige Tätigkeit
als Verfasser von autobiografischen und schauspieltheoretischen
Texten. Bemerkenswert ist zudem seine Doppelfunktion als zu-
gleich amtlicher und künstlerisch tätiger Briefeschreiber. So führte
er einen vielfältigen und gehaltreichen Briefwechsel mit den Grö-
ßen des damaligen Theaters. Darunter befanden sich neben Goethe,
Schiller und Kleist auch August Wilhelm Schlegel oder Ludwig
Tieck. Zu seinen Briefpartnern zählte darüber hinaus August
Friedrich Ferdinand von Kotzebue (1761-1819). Immerhin galt
Kotzebue als Ifflands wichtigster Mitkonkurrent um die Position
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So wurde das Stück beispielsweise ins Deutsche Textarchiv (DTA) der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen.
Das digitale Repositorium soll zunächst ‒ überaus ambitioniert ‒ als
kumulatives »Referenzkorpus« für den historischen Sprachstand des
Deutschen vom 16. bis 19. Jahrhundert dienen. Bei der Auswahl der
(literarischen) Texte greifen jedoch auch Mechanismen der Kanonbildung,
indem die Mitglieder der Akademie selber Empfehlungen aussprechen (vgl.
die DTA-Leitlinien unter http://www.deutschestextarchiv.de/)
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