Page 14 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
P. 14

Schichten.  Dabei  hielt  sich  Iffland  sowohl  mit  Fürstenschelte  als

                        auch  mit  all  zu  scharfer  Sozialkritik  zurück.  Seine  Dramentexte
                        setzten vielmehr auf ein festes Personen- und Typenarsenal. Darin
                        kam der biedere Bürgersmann als Hausvater auf dem Land oder in
                        der Provinz eher gut, Adelige und Städter hingegen als Intriganten
                        eher schlecht weg. Konfliktkonstellationen spitzte der Autor Iffland
                        dabei in stereotypen Rührszenen zu, die  dramaturgisch gekonnt 
                        das Publikum nicht selten zu Tränen bewegten. Am Schluss löste er
                                                                                    6
                        alle  Spannungen  auf  und  setzte  ein  Happy  End.   Der  heutige
                        Betrachter vermag darin unschwer das Erfolgsschema eines melo-
                        dramatischen Hollywood-Films zu erkennen.
                           So lesen sich Ifflands Dialoge auch heute noch ungemein flüssig
                        und unterhaltsam. Lediglich das eine oder andere Wort entzieht sich
                        dem  heutigen  Verständnis,  weil  hier  und  da  eine  vom  modernen
                        Sprachgebrauch  nicht  mehr  gedeckte  historische  Bedeutung  ge-
                        meint  ist.  Allerdings  sind  die  Dialoge  so  konzis  formuliert,  dass
                        man  die  Stücke  durchaus  auch  ohne  Hilfsmittel  mit  Gewinn  ver-

                        stehen  und  verfolgen  kann.  Die  wörtliche  Rede  der  Figuren  hält
                        dabei  stets  die  Atemspannung.  Oftmals  unterbrechen  sich  die
                        redenden Personen gegenseitig; der Angesprochene vervollständigt
                        dann den Satz seines Dialogpartners und verleiht der begonnenen
                                                               7
                        Aussage einen unerwarteten Sinn.  Mit dieser Technik der sprach-
                        lichen  Pointierung  modernisierte  (man  könnte  auch  sagen:
                        parodierte) Iffland ein Stilmittel des klassischen Theaters, die soge-

                        nannte  Stichomythie.  Dieser  aus  dem  antiken  Theater  übernom-
                        mene  rhetorische  Kunstgriff  sah  die  Füllung  eines  vorgegebenen
                        Metrums im Rahmen eines Sprechverses durch verschiedene Perso-
                        nen  vor.  Man  erkennt  solche  Stichomythien  an  den  stufenförmig
                        versetzten  Zeilen  im  Drucksatz  eines  Dramentextes.  Diese
                        Stichomythien,  so  kunstvoll  es  bei  den  klassischen  Autoren  des
                        ›gehobeneren‹  Theaters  wie  beispielsweise  Goethe  und  Schiller
                        eingesetzt wurde, mag allerdings bereits für den durchschnittlichen
                        Zeitgenossen eher gestelzt und künstlich geklungen haben.


                        6
                           Vgl.  Karl-Heinz  Klingenberg:  Iffland  und  Kotzebue  als  Dramatiker  (Bei-
                           träge zur Deutschen Klassik). Weimar 1962, S. 7-12.
                        7
                          Vgl. Klingenberg 1962 (wie Anm. im Vorigen), S. 31-79 sowie 157-160.






                                                             12
   9   10   11   12   13   14   15   16   17   18   19