Page 128 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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Theaterverbot


                        Obwohl das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts selbst im territorial
                        zersplitterten  und  mental  eher  ›verspäteten‹  Deuschland  zu  Recht

                        als eine Zeit der Aufklärung und des Fortschritts in Literatur, Kunst
                        und  Theater  gelten  kann,  kam  es  auch  zu  rückwärtsgerichteten
                        Tendenzen. Reformbewegungen wie der Pietismus engagierten sich
                        zwar  durchaus  in  fortschrittlicher  Weise.  So  kümmerten  sich

                        beispielsweise pietistische Prediger, Handwerker und Schulmeister
                        persönlich  um  die  (Aus-)Bildung  der  niederen  Volksschichten.  In
                        organisierten  Zusammenkünften  wurde  das  Spirituelle  dabei  mit
                        dem Nützlichen verbunden, geistliche Verkündigung und praktische

                        Unterweisung  der  einfachen  Leute  auf  fruchtbare  Weise  mit-
                        einander  verbunden.  Andererseits  sorgten  pietestische  Kreise  im
                        Jahre 1771 dafür, dass auf dem Gebiet der Universitätsstadt Halle
                        sowie in einem Umkreis von zwei Meilen ein Theaterverbot  galt.

                        Das  hieß,  in  einer  Stadt,  die  vor  jungen,  bildungshungrigen
                        Studenten  nur  so  wimmelte,  blieben  öffentliche  Theaterdarbie-
                        tungen  untersagt!  Dieses  Verbot  betraf  allerdings  nicht  das
                        Theaterspiel zu didaktischen Zwecken. Dies ist der Grund, warum

                        uns  der  Autor  Karl  Philipp  Moritz  (1756-1793),  als  Kind  selber
                        einer  Opfer  einer  überambitionierten  Pädagogik  im  Geiste  des
                        Pietismus, in seinem psychologischen Bildungsroman Anton Reiser
                        (4 Bde.; 1785-1790) eine Schultheaterszene schildert, in der auch

                        der  literarische  Wiedergänger  seines  Jugendfreundes  August
                        Wilhelm Iffland literarisch porträtiert wird. Das Hallenser Theater-
                        verbot  sorgte  jedenfalls  dafür,  dass  sowohl  die  Burschenschaftler
                        als auch die theaterbegeisterten Hallenser in das kursächsische Bad

                        Lauchstädt  reisten,  um  in  der  Sommersaison  des  dortigen  Auf-
                        führungen  des  Weimarer  Hoftheaters  beizuwohnen.  Erst  im  Jahr
                        1806  wurde  das  Theaterverbot  in  Halle  wieder  aufgehoben  (vgl.
                        Jubiläumsschrift Bad Lauchstädt 2002, S. 102, Spalte 1).















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