Page 43 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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gegen die multikulturelle Bildungsreformpolitik in den USA seit etwa Ende
der 1980er Jahre. David Bromwich ist seit 1988 Professor in Yale, im Jahr
2006 wurde er Inhaber der dortigen Sterling-Professur.
»Canon Wars«
Formelbildung zur Bezeichnung der Kontroversen um einen Literatur- und
Bildungskanon in den USA während der 1980er und 90er Jahre. In der Art
eines Slogans verwendet, macht der Ausdruck den militanten Charakter der
Multikulturalismus-Diskussion sinnfällig, die zeitversetzt auch auf Europa
einwirkte. Mit dem bedeutungsgeladenen deutschen Wort ›Kulturkampf‹
ist die Formel nur unzureichend übersetzt. Dies auch deshalb, weil sich seit
Ende der 1990er Jahre die beiden Wortglieder mit Bedeutungsvalenzen der
Kulturkampf-Debatte in der Folge von Samuel Huntingtons Formel vom
»Clash of civilizations« (1993) überlagerten. Zudem wurde der Begriff mit
historischen Assoziationen vermengt. Man denke an den »Kulturkampf« Otto
von Bismarcks gegen den deutschen Katholizismus in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts. Zur Begriffstrübung gesellte sich ein verbreitetes
übersetzerisches Missverständnis. So wurde Huntingtons Dichotomie von
culture/Kultur vorschnell dem Begriffspaar civilization/Zivilisation adversativ
gegenübergestellt. In Wahrheit entsprechen sich die beiden Wortpaare aber
gleichsam über Kreuz. Das englische culture ist im Deutschen am ehesten mit
›Zivilisation‹ wiedergegeben. Umgekehrt bedeutet engl. civilization so viel
wie ›Kultur‹, ›Kulturkreis‹. Im Kontext der sprachlichen Begriffsproblematik
ist auch zu bedenken, dass stets zwischen singularischem bzw. pluralischem
Wortgebrauch in beiden Sprachen zu unterscheiden ist. Hinzu tritt das Phä-
nomen des sogenannten Kollektiv-Singulars (›die‹ menschliche Zivilisation
als Summe aller Organisationsformen und Errungenschaften menschlicher
Kulturgemeinschaft). Im amerikanischen Wort ›Canon Wars‹ (»Kanonkriege«)
klingen darüber hinaus auch Echos der modernen Science Fiction nach, wie
z. B. bei »Stars Wars« oder »Clone Wars«. Auch diese ›Sternenkriege‹ nähren
sich bekanntlich aus einem fast biblischen Dualismus zwischen hellen und
dunklen Mächten. Ein Gegensatz, der typisch ist für eine globalisierte Popu-
lärkultur, in der es von Hollywood-Mythen nur so wimmelt.
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