Page 41 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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der westlichen Weltliteratur von Dante bis Beckett. In einem Appendix listet
er 1.500 Autoren, sortiert nach Kultursprachen und Ländern. Ausgangspunkt
seiner Kanonisierung ist ein abstrahierter und universalisierter Humanismus.
Anhand von Kriterien wie »Beherrschung der Bildsprache, Originalität, kogni-
tive Kraft, Wissen und Maß« (E. Grimm in Arnold 2002, S. 44) erläutert er
dieses Werteprinzip als Wertungsprinzip anhand der ausgewählten Autoren
und Werke. Im Zentrum seines →Autorenkanons regieren Dante und Shake-
speare. Bloom inszeniert seinen Kanon als weltliterarisches Pantheon, das
vor allem große Figurenschöpfungen wie Beatrice oder Falstaff stilisierend
in den Mittelpunkt rückt. Diese Figuren werden zwar eindrucksvoll lebendig,
dienen aber auch als quasi episches Personal, um Blooms Argumentation zur
Anschaulichkeit zu verhelfen. Theoretische Ansätze sucht man daher verge-
bens – bei allem Hang des Autors zur Verallgemeinerung seiner Thesen. Zitate
aus literarischen Werken und der Sekundärliteratur werden dabei - typisch
für die angloamerikanische Essayistik - kaum oder gar nicht nachgewiesen.
Diese Verfahrensweise muss kein Qualitätsmangel sein. Beim geschulten Leser
hin terlässt sie aber stellenweise ein vages Gefühl des zaghaften Zweifels an
der Belastbarkeit der ein oder anderen Kontextualisierung der verwendeten
Literaturzitate. Bloom wurde mit diesem Buch selbst zu einem »canonic
critic«, also einem Starkritiker oder →Literaturpapst. Ansatzpunkte zur
Kritik lieferten neben H. Blooms Mut zur rigorosen Auswahl vor allem die
methodische Auslassung von wichtigen Namen der amerikanischen Literatur
des 20. Jahrhunderts. So lässt Bloom seine kanonische Positivliste in Form
eines präskriptiven Index mit der Aufzählung von auserwählten Autoren und
Werken mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts enden. Bedeutende Namen wie
Herman Melville (1819-1891), Emily Dickinson (1830-1886) oder William
Faulkner (1897-1962) fallen daher aus seinem berüchtigten »Appendix« heraus,
da diese Auto ren in der Rezeption erst in den 1920er Jahren zu klangvollen
Namen der ame rikanischen Moderne aufstiegen.
Blütezeit
Bildhaft übertragene Prägung zur Bezeichnung des Zeitpunkts oder Zeit-
raums der ›höchsten Entwicklung von etwas‹. In dieser Bedeutung im Deut-
schen nachweisbar seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Zumeist bezeichnet der
Terminus eine historische Epoche der Kumulation herausragender Personen
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