Page 40 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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mehrerer Kanonfestschreibungen. So koexistieren innerhalb des födera len
Schulsystems der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche länderspezifische
Festlegungen. Kulturgeschichtlich repräsentieren Unterrichtspläne und Lek-
türelisten eine institutionelle Form kultureller Erinnerung. Voraussetzung
für das zivilisatorische Konzept ›Bildungskanon‹ bildet in der Regel eine
ent wickelte Schriftsprache. Das schließt nicht aus, dass sich auch unter soge-
nannten Naturvölkern bestimmte mythische Erzählungen zu einem Kanon
verdichten, der in der Art einer ›oral history‹ von den Eltern auf die jüngere
Generation übergeht.
Bloom, Allan David
Amerikanischer Publizist und Bildungsforscher (Jahrgang 1930), Autor
der teils polemischen Thesenschrift The Closing of the American Mind: How
Higher Education has failed Democracy and Impoverished the Souls of Today’s
Students (New York 1987). Das Buch erschien ein Jahr darauf in deut scher
Übersetzung unter dem Titel Der Niedergang des amerikanischen Geistes
(1988). In seiner kontrovers diskutierten Kulturkritik warnte A. D. Bloom
eindringlich vor dem Relativismus der multikulturalistischen Bil dungspolitik
im amerikanischen Hochschulwesen der 1970er und 80er Jahre.
Bloom, Harold
Harold Bloom (Jahrgang 1930) ist einer der bedeutendsten amerikanischen
Literaturwissenschaftler der Gegenwart. Mit seinem Aufsehen erregenden
Werk The Western Canon: the Books and Schools of the Ages (New York
u. a. 1994) formulierte er kurz vor dem letzten Millennium eines der laut-
stärksten Plädoyers für einen konservativen Literaturkanon der westlichen
Welt. Das Buch ist aus angloamerikanischer Perspektive – man könnte auch
sagen: in Fixierung auf das Kulturerbe der abendländischen Welt und damit des
›Westens‹ geschrieben – und war von Beginn an heftig umstritten. Zeitweise
war H. Bloom mit der Yale School der Dekonstruktivisten (Geoffrey Hartman,
J. Hillis Miller) assoziiert und machte sich damit zwangsläufig zum Anwalt
einer Art Neo-Immanenz. In seinem Buch bewertet Bloom in 26 Essays auf
teilweise höchst idiosynkratische Weise vermeintlich herausragende Autoren
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