Page 45 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
P. 45
Huntington nennt Beispiele für solche Kulturen, die sich an der Schwelle
zur Jahrtausendwende als Machtzentren einer multipolaren Weltpolitik
herausge bildet haben. Der Politikwissenschaftler beschreibt die Entstehung
eines welt weit verteilten Musters von Konfrontationszonen als globalen
Antagonismus, der in einen »Krieg der Kulturen« zwischen dem We sten
und seinen neuen Konkurrenten zu münden drohe. Huntington unterteilt den
Erdball in klar voneinander abgegrenzte Hegemonialsphären und spricht
vom sinischen, japanischen, hinduistischen, islamischen, westlichen und
lateinamerikanischen Kulturkeis (Huntington 2006/07, S. 9ff.). Für das
21. Jahrhundert prognostizierte er eine fundamentale Erschütterung des
Westens, deren Ursache er in den hochproblematischen Globalisierungs-
prozessen am Ende des 20. Jahrhunderts erkennt. In diesen Zusammenhang
stellt Huntington das weltweite Erstarken ethnischer und religiöser Bin-
dungen, ein Wiedererwachen des politischen Islam als soziale Bewegung
und die Schwä chung der geostrategischen Dominanz der USA. Die Folge:
Die westliche Kulturhegemonie werde in ihre Schranken verwiesen. Neue
Mitspieler um die Vorherrschaft auf dem Globus träten hervor, die sich um
einige wenige »Kern staaten« gruppierten, so z. B. der »sinisch-asiatische«
Kulturkreis mit China im Zentrum. Die Debatte um Huntingtons Thesen trug
zeitweise selbst Züge eines globalisierten Kulturkampfs. Immer wieder wurde
die kulturkämpferische Metaphorik vom →»Clash« aufgegriffen, sei es in
polarisierender oder harmonisierender Absicht (vgl. z. B. Ilja Trojanow und
Ranjit Hoskoté: Kampfabsage: Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen
zusammen, München 2007).
»Clash«
Titelgebender Begriff von Samuel Phillips Huntingtons epochaler Studie
über den drohenden feindseligen Zusammenstoß der Weltkulturen, The Clash
of Civilizations (1993/96). Der Begriff ›Clash‹ ist vielschichtig. Huntingtons
deutsche Übersetzer haben sich deshalb mit begrifflichen Dichotomien wie
Civilization/Kultur(kreis) und Zivilisation(en)/culture(s) beholfen. Zumeist
wurde der Titel mit ›Kampf der Kulturen‹ übersetzt (→»Civilizations«).
Das öffnete dualistischen Deutungen Tür und Tor, denn ideologische und
militante Deutungsansätze fan den in dem Begriff eine ideale Projektionsfläche.
Zunächst bedeutet das Wort allerdings lediglich Zusammenstoß, Zusammen-
41