Page 109 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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die Schauspieler, um dergleichen mit Geist und Leben darzustellen,
                        und es fehlte das Publikum, dergleichen mit Empfindung zu hören
                        und aufznehmen.« (Gespräch mit Eckermann vom 27. März 1825;
                        Frankfurter Ausg., 2. Abt., Bd. 12, 1999, S. 553)



                                              II. August Wilhelm Iffland



                                                    1. Was ist Natur?

                        »Natur!  ‒  ich  wünschte,  daß  der  arge  Mißbrauch  dieses  Wortes

                        aufgehoben seyn möchte.
                           Alles  was  leicht  in  die  Augen  fällt,  wird  ohne  Bedenken  damit

                        gepriesen ‒ und doch ist das Wort von so mächtiger Bedeutung.
                           Es ist Natur. ‒ So sagt man, um die Vortreflichkeit irgend eines
                        Dinges  zu  erheben.  Das  Wort  Natur,  ist  hier  ein  Bild,  das
                        grösseste, das kühnste, das je gewagt worden ist ‒ das  Bild von
                        Gottes  Schöpfung!  Ja  der  Natur  ist  nirgend  Einförmigkeit,

                        nirgend  Mißverhältniß.  Nichts  ist  unzweckmäßig.  Eines  erheischt
                        das andere. Jeder kleine Theil, ist im bestimmtesten Verhältniß mit
                        dem Grossen. Im Anblick des Ganzen ist Schönheit.

                           Ich  muß  also  an  einem  Werke,  eben  dieses  genaue  Ebenmaas
                        aller  Verhältnisse,  eben  diese  Schönheit  gesehen  haben,  um  das
                        Urtheil gültig zu machen ‒ ›es ist Natur!‹
                           Wenn daher eine Sache so beschaffen ist, daß der  anschauende
                        Mensch fühlt; hier  ist  nichts  zu  viel,  nichts  zu  wenig

                        ‒  hier  fehlt  nichts:   so  ist  sie  Natur.  Also  sind  Natur  und
                        Vollkommenheit, synonym.« (Fragmente über Menschendarstellung
                        auf  den  deutschen  Bühnen.  Erste  Sammlung,  Dritter  Abschnitt.
                        Leipzig  1785,  S. 31f.  ‒  Hervorhebungen  original;  stellenweise

                        vergrößerter Frakturdruck normalisiert, so auch im Folgenden)


                                      2. Schauspielkunst als ›Menschenmalerei‹


                        »Das  Schauspiel  ist  ein  Gemälde  der  Menschen,  ihrer  Leiden-
                        schaften  und  Handlungen.  Der  Schauspieler  macht,  durch  den
                        Menschen den er in einer Rolle hinstellt, dieses Gemälde lebendig.«







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