Page 108 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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8. Stilisierung in Begegnungen und Gesprächen

                        »Schiller  mußte  auf die  Mehrzahl der  Menschen notwendig  einen
                        angenehmeren Eindruck machen als Goethe. Die äußere Erschei-

                        nung sprach allerdings im ersten Augenblick mehr für den letzteren.
                        Aber er gab sich denjenigen gegenüber, welche ihn nicht besonders
                        zu interessieren wußten, gar zu sehr seiner augenblicklichen Stim-

                        mung hin, und schien die Verehrung, welche ihm entgegengebracht
                        wurde, als einen schuldigen Tribut zu betrachten, der auch nicht die
                        kleinste  Erwiderung  seiner  Seite  erscheische.  Gewiß  mag  ihn  die
                        Neugier unbedeutender Menschen oft ungebührlich geplagt, und um
                        eine  edle  Zeit  betrogen  haben,  von  welcher  er  fühlte,  daß  er  sie

                        ersprießlicher anwenden konnte. Aber ich habe ihn auch bisweilen
                        von einem Kreise anerkannt tüchtiger Männer und strebender Jüng-
                        linge umgeben gesehen, welche alle, entbrannt von dem Wunsche,

                        irgend eine Ansicht, eine Meinung nur, von ihm ausgesprochen zu
                        hören,  an  seinen  Lippen  hingen,  und  doch,  als  die  Beute  eines
                        langen,  vielleicht  ihr  ganzes  Leben  hindurch  ersehnten  Abendes,
                        nichts mehr als ein gedehntes: ›Ei ‒ ja!‹ oder ›So?‹ ‒ oder ›Hm!‹ ‒
                        oder bestenfalls ein: ›Das läßt sich wohl hören!‹ ‒ davon trugen...«

                        (Goethes  Gespräche,  hrsg.  von  Wolfgang Herwig,  2.  Bd.,  1969,
                        S. 571;  normalisierte  Wiedergabe  aus:  Henriette  Herz.  Ihr  Leben
                        und  ihre  Erinnerungen,  hrsg.  von  Julius  Fürst,  Berlin  1850,
                        S. 209f.)


                                             9. Über ein deutsches Theater


                        »Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es möglich, ein deut-
                        sches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich selber
                        dazu  beitragen  und  als  könne  ich  zu  einem  solchen  Bau  einige

                        Grundsteine legen. Ich schrieb meine Iphigenie und meinen Tasso
                        und  dachte  in  kindischer  Hoffnung,  so  würde  es  gehen.  Allein  es
                        regte sich nicht rührte sich nicht und blieb Alles wie zuvor.  Hätte
                        ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, so würde ich Euch ein
                        ganzes Dutzend Stücke wie die Iphigenie und den Tasso geschrie-

                        ben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie gesagt, es fehlten








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