Page 104 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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unterhalten.  Man  wollte  ein  deutsches  Theater  auch  mit  einem
                        patriotischen Stück anfangen und wählte, oder vielmehr man nahm
                        hiezu den Hermann von Schlegel, der nun freilich, ungeachtet aller

                        Thierhäute und anderer animalischen Attribute, sehr trocken ablief;
                        und ich, der ich gegen alles was mir nicht gefiel oder mißfiel mich
                        sogleich in eine praktische Opposition setzte, dachte nach, was man
                        bei so einer Gelegenheit hätte thun sollen. Ich glaubte einzusehen,
                        daß solche Stücke in Zeit und Gesinnung zu weit von uns ablägen,

                        und  suchte  nach  bedeutenden  Gegenständen  in  der  spätern  Zeit,
                        und so war dieses der Weg auf dem ich einige Jahre später zu Götz
                        von  Berlichingen  gelangte.  Koch,  der  Director,  war  durch  sein

                        hohes Alter von der Bühne dispensirt. Ich habe ihn nur zweimal in
                        dem obgedachten Hermann, und dann einmal als Crispin gesehen;
                        wo er noch eine trockene Heiterkeit und eine gewisse künstlerische
                        Gewandtheit zu zeigen wußte. Brückner, als erster Liebhaber, hatte
                        unsern  ganzen  Beifall,  weniger  Demoiselle  Steinbrecher,  welche

                        uns als Liebhaberin zu kalt schien. Eine Madame Stark war in den
                        Mutterrollen  wohl  aufgenommen;  der  übrigen  Gestalten  erinnere
                        ich mich nicht mehr, aber desto besser des lebhaften Eindrucks, den

                        eine Demoiselle Schulze auf uns machte, die mit ihrem Bruder, dem
                        Balletmeister,  bei  uns  anlangte.  Sie  war  nicht  groß,  aber  nett,
                        schöne  schwarze  Augen  und  Haare;  ihre  Bewegungen  und
                        Recitation  vielleicht  zu  scharf,  aber  doch  durch  die  Anmuth  der
                        Jugend gemildert. Sie zog uns in die Bühne so oft sie spielte, und

                        ihre Darstellung von Romeo und Julie von Weiße ist mir noch ganz
                        gegenwärtig, besonders wie sie in dem weißen Atlaskleide aus dem
                        Sarge stieg und sich sodann der Monolog bis zur Vision, bis zum

                        Wahnsinn  steigert.  Wenn  sie  die  Ottern,  welche  sie  an  sich
                        hinaufkriechend  wähnte,  mit  lebhafter  Bewegung  der  Hand
                        wegzuschleudern  schien,  war  ein  unendliches  Beifallklatschen  ihr
                        Lohn; ja sie hatte durch ihre tragischen Tugenden uns dergestalt
                        gewonnen, daß wir sie in keiner mindern Rolle, am wenigsten aber

                        als  Tänzerin  sehen  wollten,  und  sie  davon  sogar  in  kleinen
                        ausgestreuten Versen abzumahnen gedachten.
                           Die nachher als Mara so bekannt gewordene Schmehling befand








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