Page 105 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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sich mit ihrem Vater gleichfalls in Leipzig und erregte allgemeine
Bewunderung. Dagegen hatte Corona Schröter, ob sie gleich mit
jener es nicht an Stimme und Talent aufnehmen konnte, wegen ihrer
schönen Gestalt, ihres vollkommen sittlichen Betragens und ihres
ernsten anmuthigen Vortrags, eine allgemeine Empfindung erregt,
welche sich, je nachdem die Personen waren, mehr oder weniger
als Neigung, Liebe, Achtung oder Verehrung zu äußern pflegte.
Verschiedene ihrer Anbeter machten mich zum Vertrauten und
erbaten sich meine Dienste, wenn sie irgend ein Gedicht zu Ehren
ihrer Angebeteten heimlich wollten drucken und ausstreuen lassen.
Beide, die Schröter und Schmehling, habe ich oft in Hasse’schen
Oratorien neben einander singen hören, und die Wagschalen des
Beifalls standen für beide immer gleich, indem bei der einen die
Kunstliebe, bei der andern das Gemüth in Betrachtung kam.«
(›Biographische Einzelnheiten: Leipziger Theater‹, 1768. Weim.
Ausg., I. Abt., Bd. 36, 1893, S. 226-228)
6. Besuch von Iffland
»Ich hatte lebhaft gewünscht Ifflanden zu sehen, und er hatte die
Freundlichkeit mich zu besuchen; seine Gegenwart setzte mich in
ein angenehmes Erstaunen. Er war etwas über zwanzig Jahr alt,
von mittlerer Größe, wohl proportionirtem Körperbau, behaglich
ohne weich zu sein; so war auch sein Gesicht, rund und voll, heiter
ohne gerade zuvorkommender Miene. Dabei ein paar Augen, ganz
einzige! Ich konnte ihm meine Verwunderung nicht verbergen, daß
er, mit solchen äußeren Vorzügen, sich als ein Alter zu maskiren
beliebte und Jahre sich anlöge die noch weit genug von ihm ent-
fernt seien. Er solle der Vorzüge seiner Jugend genießen; im Fache
junger Liebhaber, junger Helden müsse er lange Zeit das Publicum
entzücken und verdienten unabläßlichen Beifall sich zueignen. Ob
er gleich nicht meiner Meinung schien und sie als allzugünstig von
sich ablehnte, so konnten ihm meine Zudringlichkeiten doch nur
schmeichelhaft sein; darauf im sinnigen Hin- und Wiederreden über
sein Talent, seine Denkweise, seine Vorsätze, verschlang sich das
Gespräch bis zum Ende, da wir denn beide, wohlzufrieden mit ein-
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