Page 111 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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Aber das ist dem Genie nimmermehr als Studium nothwendig,
was, vom Genie abstrahirt, um derer willen in Regeln geängstiget
ward, die kein Genie haben.« (Fragmente über Menschen-
darstellung 1785, I, 3, S. 34f.)
5. »Laune« als Inspiration des Schauspielers zur »Begeisterung«
»Laune ist es, welche dem Körper die Eigenschaft mittheilt, daß
er allemal ganz genau mit der Sprache geht, um den Ausdruck deut-
licher zu machen, oder zu verstärken: Der grosse Ausdruck hin-
gegen (ich möchte ihn den Garrickschen Ausdruck nennen,) kann
nur das Werk der Begeistrung seyn.« (Fragmente über Menschen-
darstellung 1785, I, 4, S. 45f.)
6. Sittliche Gefühls- statt handwerklicher Regelkunst
»Das Gefühl für den edlen Anstand aber liegt gleich neben dem
feinen Gefühl für das Unschickliche. Wenn man nicht durch gänz-
liche Vernachläßigung, Geringschätzung, oder aus dem Eigensinn,
daß die rohe Natur allein hinlänglich sey, das erstere betäubt: so ist
bey dem Schauspieler, die Bildung des Körpers unzertrennlich von
der Bildung der Seele.
Sollte der Schauspieler seine Seele nicht vorzüglich bilden? Er,
den das psychologische Studium auf den unmerklichsten Keim
dessen führt, was nachher Tugend oder Laster wird: der in dem
Spiegel der Seele, das Gesicht und den ganzen äußern Menschen,
rein und deutlich sieht, so rein und deutlich, daß er zu der
Geschichte der Menschen Beyträge liefern kann, deren praktische
Wahrheit, manche Mine der Bosheit, manche Gänge der argen Ver-
stellung unschädlich machen kann.« (Fragmente über Menschen-
darstellung 1785, I, 5, S. 61f.)
7. Über den »Nationalkarakter« der Bühnenstile
(a) »Die Franzosen haben Hang zu Ostentation und Enthu-
siasmus. Das veranlaßt bey ihren Dichtern Tiraden, deren glänzen-
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