Page 116 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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In sehr seltenen Fällen zeichnete Goethe auch in seiner Funktion
                        als niedergelassener Rechtsanwalt seine Eingaben vor Gericht unter
                        Nachstellung  des  vermeintlichen  Titels:  »J.[ohann]  W.[Wolfgang]
                        Goethe, D[okto]r. Adv[ocatus] [...] dahier« (z. B. mit Datum vom

                        10.  Juni  1774).  Dies  geschah  wohl  deshalb,  weil  der  spezielle
                        juristische  Titel  des  Lizentiaten  über  engere  Juristenkeise  kaum
                        bekannt  war.  Einer  anderen  Auffassung  nach  spiegelte  sich  darin
                        auch der damalige Usus, die beiden Titel in den deutschen Landen

                        einander weitgehend gleichzustellen. In seiner Vaterstadt Frankfurt
                        vermochte  Goethe  umso  unangefochtener  als  »Doktor  Goethe«
                        firmieren,  als  er  damit  zumindest  nach  außen  in  die  Fußstapfen
                        seines  Vaters  treten  konnte.  Sicher  ein  Aspekt,  der  von  seinem

                        Vater,  dem  aus  einfacheren  Verhältnissen  zum  vornehmen
                        promovierten  Amtsjuristen  aufgestiegenen  Johann  Caspar  Goethe,
                        mit  Wohlwollen  gesehen  wurde.  Allerdings  betrachtete  ›Doktor
                        Goethe  senior‹  die  Distanz  seines  Sohnes  zum  zugedachten

                        Brotberuf mit Skepsis und zeitweise sogar mit Sorge. Von Goethes
                        Mutter,  Catharina  Elisabeth,  geb.  Textor,  ist  der  besondere  Stolz
                        überliefert, den sie über ihren Gemahl als geachteter Herr »Doktor
                        Goethe«  empfand.  In  diesem  Kontext  erscheint  die  bürgerliche

                        Konvention  jener  Zeit  bedenkenswert,  wonach  der  akademische
                        oder  beamtenrechtliche  Titel  des  Mannes  in  der  höflich-respekt-
                        vollen Anrede durch Dritte auf die Ehefrau übergehen konnte. Mit
                        Blick auf die Amtsstellung ihres Ehemannes hieß Goethes Mutter

                        aber bekanntlich »Frau Rat Goethe«, weil in der standesbewussten
                        Freien  und  Reichsstadt  ein  kaiserlicher  Amtstitel  einen  akade-
                        mischen Titel bei Weitem übertraf. Vater Goethe hielt übrigens die
                        im  Sommer  1771  in  Straßburg  abgelehnte  und  heute  nicht  mehr

                        erhaltene  Dissertation  seines  Sohnes  in  ehrender  Aufbewahrung.
                        Unter  dem  Titel  De  legislatoribus  (›Über  die  Gesetzgeber‹)
                        behandelte sie eine kirchenrechtliche Frage und war der juristischen
                        Fakultät wohl zu kritisch. Noch am 11. September 1816 bekam Carl

                        Friedrich Zelter das Exemplar bei einem Besuch bei der Familie in
                        Frankfurt zu sehen. Die von ihm gewünschte Abschrift des Thesen-
                        textes blieb ihm aber versagt.








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