Page 18 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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ganz überwiegend Akteure aus der preußischen Königs- und
Residenzstadt, die die vielversprechende »Weltstellung« Goethes
erkannten und den Mythos von Weimar im nationalen Gedächtnis
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verankern sollten.
Forschungslage
Die bisher bekanntgewordene Beschreibung des Berliner Nachlass-
fundes legt nahe, dass es sich bei dem insgesamt »ca. 7.500 Blatt
umfassende[n] Archiv« (K. Gerlach 2015, S. 13) in der Mehrzahl
nicht um Briefe im engeren Sinne handelt, sondern vor allem um
Akten- und Korrespondenzstücke, wie z. B. einfache Notizen,
Listen, Rechnungen sowie sonstige Belege, die gar nicht zum
Austausch oder Versand bestimmt waren. Die Gleichsetzung des
vorliegenden Nachlassfundes mit einem quasi vollständigen
Briefkorpus ist also mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest
vorschnell. Hinzu kommt die glückliche Tatsache, dass die im
Nachlass-Konvolut heute fehlenden Briefe an Goethe und Schiller
bereits teilweise ediert bzw. kommentiert vorliegen (vgl. dazu im
Literaturverzeichnis: Teichmann/Dingelstedt 1863; Julius Wahle
1892; Ludwig Geiger 1905a/1905b sowie Curt Müller 1910).
Abgesehen von dem im Vorigen erwähnten Brief Goethes an
Franz Kirms zum Mahomet sind aus dem Iffland-Nachlass mit
Blick auf die Vertreter der Weimarer Klassik also keine
spektakulären Funde bislang unbekannter oder verschollener
Briefhandschriften zu erwarten. Auch echte Desiderata der Goethe-
Forschung, wie z. B. die ungeklärte Frage nach dem genauen Grund
dafür, dass der Epimenides am Ende nicht wie geplant anlässlich
14 »Berlin hat Goetheʼs Weltstellung entdeckt. Berlin zuerst hat nach der
Wendung des Dichters zum Klassizismus hin ihm die Anerkennung größe-
rer Massen eingebracht.« (Otto Brahm: Goethe und Berlin. Festschrift zur
Enthüllung des Berliner Goethe-Denkmals. Berlin 1880, S. 9). Die mögli-
che Nähe dieses Begriffs von der kulturellen ›Weltstellung‹ eines Einzelnen
zum Konzept einer politischen oder militärischen ›Weltgeltung‹ Deutsch-
lands muss bei allem Respekt für die gründerzeitliche Goethe-Begeisterung
hier zumindest erwähnt werden.
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