Page 99 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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kamen häufig vor, und ich erinnere mich noch deutlich mancher
charakteristischer Figuren. Von den Moliere’schen ist mir weniger
im Sinn geblieben. Was am meisten Eindruck auf mich machte, war
die Hypermnestra von Lemiere, die als ein neues Stück mit Sorgfalt
aufgeführt und wiederholt gegeben wurde. Höchst anmuthig war
der Eindruck, den der Devin du Village, Rose et Colas, Annette et
Lubin auf mich machten. Ich kann mir die bebänderten Buben und
Mädchen und ihre Bewegungen noch jetzt zurückrufen. Es dauerte
nicht lange, so regte sich der Wunsch bei mir, mich auf dem Thea-
ter selbst umzusehen, wozu sich mir so mancherlei Gelegenheit
darbot. Denn da ich nicht immer die ganzen Stücke auszuhören Ge-
duld hatte, und manche Zeit in den Corridors, auch wohl bei ge-
linderer Jahreszeit vor der Thür, mit andern Kindern meines Alters
allerlei Spiele trieb, so gesellte sich ein schöner munterer Knabe zu
uns, der zum Theater gehörte, und den ich in manchen kleinen Rol-
len, obwohl nur beiläufig, gesehen hatte. Mit mir konnte er sich am
besten verständigen, indem ich mein Französisch bei ihm geltend zu
machen wußte; und er knüpfte sich um so mehr an mich, als kein
Knabe seines Alters und seiner Nation bei’m Theater oder sonst in
der Nähe war. Wir gingen auch außer der Theaterzeit zusammen,
und selbst während der Vorstellungen ließ er mich selten in Ruhe.
Er war ein allerliebster kleiner Aufschneider, schwatzte charmant
und unaufhörlich, und wußte so viel von seinen Abenteuern, Hän-
deln und andern Sonderbarkeiten zu erzählen, daß er mich außer-
ordentlich unterhielt, und ich von ihm, was Sprache und Mitthei-
lung durch dieselbe betrifft, in vier Wochen mehr lernte, als man
sich hätte vorstellen können; so daß niemand wußte, wie ich auf
einmal, gleichsam durch Inspiration, zu der fremden Sprache ge-
langt war. Gleich in den ersten Tagen unserer Bekanntschaft zog er
mich mit sich auf’s Theater, und führte mich besonders in die Fo-
yers, wo die Schauspieler und Schauspielerinnen in der Zwischen-
zeit sich aufhielten und sich an- und auskleideten. Das Local war
weder günstig noch bequem, indem man das Theater in einen
Concertsaal hineingezwängt hatte, so daß für die Schauspieler
hinter der Bühne keine besonderen Abtheilungen statt fanden. In
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