Page 102 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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lange  intriguirt,  bis  man  einen  ernsthaften  Ehemann,  oder  nahen
                        Verwandten,  beizutreten  und  den  Ritterschlag  anzunehmen  be-
                        wogen hatte […].

                           In dieses Ritterwesen verschlang sich noch ein seltsamer Orden,
                        welcher philosophisch und mystisch sein sollte, und keinen eigent-
                        lichen Namen hatte. Der erste Grad hieß der Übergang, der zweite
                        des Übergangs Übergang, der dritte des Übergangs Übergang zum
                        Übergang, und der vierte des Übergangs Übergang zu des Über-

                        gangs  Übergang.  Den  hohen  Sinn  dieser  Stufenfolge  auszulegen,
                        war  nun  die  Pflicht  der  Eingeweihten,  und  dieses  geschah  nach
                        Maßgabe  eines gedruckten    Büchelchens, in  welchem jene seltsa-

                        men Worte auf eine noch seltsamere Weise erklärt, oder vielmehr
                        amplificirt  waren.  Die  Beschäftigung  mit  diesen  Dingen  war  der
                        erwünschteste Zeitverderb. Behrischens Thorheit und Lenzens Ver-
                        kehrtheit schienen sich hier vereinigt zu haben: nur wiederhole ich,
                        daß auch nicht eine Spur von Zweck hinter diesen Hüllen zu finden

                        war.
                           Ob ich nun gleich zu solchen Possen sehr gern beirieth […] so
                        hatte ich mich doch schon früher an solchen Dingen müde getrie-

                        ben;  und  als  ich  daher  meine  Frankfurter  und  Darmstädter  Um-
                        gebung vermißte, war es mir höchst lieb, Gottern gefunden zu ha-
                        ben, der sich mit aufrichtiger Neigung an mich schloß, und dem ich
                        ein herzliches Wohlwollen erwiderte. Sein Sinn war zart, klar und
                        heiter, sein Talent geübt und geregelt; er befleißigte sich der fran-

                        zösischen Eleganz und freute sich des Theils der englischen Lite-
                        ratur,  der  sich  mit  sittlichen  und  angenehmen  Gegenständen  be-
                        schäftigt.  Wir  brachten  viele  vergnügte  Stunden  zusammen  zu,  in

                        denen wir uns wechselseitig unsere  Kenntnisse, Vorsätze und Nei-
                        gungen  mittheilten.«  (›Aus  meinem  Leben.  Dichtung  und  Wahr-
                        heit‹, Dritter Theil, Zwölftes Buch; Weim. Ausg.,  I. Abt., Bd. 28,
                        1890, S. 134-139)



                                             4. Über das deutsche Singspiel

                        »Man  vergegenwärtige  sich  jene  sehr  unschuldige  Zeit  des  deut-
                        schen  Opernwesens,  wo  noch  ein  einfaches  Intermezzo,  wie  die







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