Page 128 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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dieser Vorstellung steht Herzogin Anna Amalia, geborene Prinzessin von
Braunschweig-Wolfenbüttel (1739-1807), die in der Zeit zwischen 1775/76
bis 1806 als Kunstmäzenin und ›Muse‹ die Weimarer Hofkultur maßgeblich
prägte. Die Vorstellung vom ›Musenhof‹ ist nicht nur eine sprachliche Meta-
pher. Vielmehr geht auch die nachhaltige Wirksamkeit des Topos auf dessen
Inszenierung in der bildenden Kunst zurück. Man denke nur an Theobald von
Oers berühmt gewordenes Gemälde Der Weimarer Musenhof (1860). Das
Bild ist ein gemaltes Who-is-who des klassischen Weimar. Im Mittelpunkt
zeigt es Friedrich Schiller, der im Tiefurter Park vor Publikum stehend Verse
deklamiert. Unmittelbar vor ihm, die zweite Bildhälfte dominierend, Goethe
als prominentester Zuhörer. Im Publikum gruppieren sich, teils sitzend, teils
stehend, so hochrangige Vertreter wie Herzog Karl August mit Gattin Luise
und Mutter Anna Amalia sowie − neben lokalen Berühmtheiten wie Herder
und Wieland − auch Gelehrte mit einem Weltruf unter ihren Zeitgenossen
wie Alexander und Wilhelm von Humboldt.
Da der Topos vom ›Musenhof‹ als fester Bestandteil zu jener Legende
gehört, die er eigentlich zu beschreiben vorgibt – der analytische Begriff also
selbst zur Metapher geworden ist – gibt es in der jüngeren Klassikforschung
vehemente Versuche, diese Vorstellung vom individuellen Wirken einer
maßgeblichen Person zu erschüttern. Dazu wurde umfangreiches Zahlen- und
Quellenmaterial erschlossen oder lediglich neu bewertet, um vor allem das
Verdienst von Anna Amalias Reformwerk zu relativieren und ihre Rolle als
aufgeklärte Regentin ihres kleinen Fürstentums prinzipell in Frage zu stellen
(vgl. Berger 2001; s. Bibliografie, unter Punkt B.III).
Wie unverwüstlich der Begriff jedoch fortlebt, belegen seine zahlreichen und
bis heute virulent gebliebenen Übertragungen. So überschreibt der Friedrich-
Biograf Johannes Kunisch seine einschlägige Schilderung des geistigen Wirkens
von Friedrich dem Großen als Kronprinz mit dem sprechenden Vergleich »Der
Musenhof in Rheinsberg« (Friedrich der Große. Der König und seine Zeit,
München, 5. Aufl. 2005, S. 72-103). An anderer Stelle spricht Kunisch sogar
von der »Rheinsberger Tafelrunde« (Fürst - Gesellschaft -Krieg: Studien
zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates. Köln u. a. 1992,
S. 154). Dies ist umso aufschlussreicher, als eigentlich erst Friedrichs spätere
Tafelrunde von Sanssouci (1747-1752) zum Sinnbild für das intellektuelle
Leben am Hof des ›Philosophenkönigs‹ (roi philosophe) werden sollte. Adolph
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