Page 156 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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154 III. Kapitel: D er Flug des G enius
und Krieg. Bezeichnenderweise sind Prometheus und Ganymed bei Goethe zu
Schlüsselmythen für die autonome Genieästhetik geworden. Aber im Gegensatz
zu Goethe (Prometheus-Hymne) und der englischen Romantik (z. B. Percy
Bysshe Shelley: Prometheus Unbound-, [1820]), die ein positives Prometheusbild
zeigen, verwirft Hölderlin das Prometheisch-Titanische (vgl. Häny 1948;
Wegenast 1990: 77f.; 99, 102; 157-159; Weibler 1996: 19, Anmerkung Nr. 14). 147
Das geschieht in entschiedener Ablehnung der Philosophie Fichtes und in der
Auseinandersetzung mit Schelling. Ganymed und Prometheus sind auch über den
Flugtopos komplementär in die Konstellation des mythischen Bilderfeldes ein
gebunden: Der Adler des Zeus bedeutet dem einen Zeichen der Auserwählung
(der Adler entführt Ganymed), dem anderen Verdammung zu schlimmsten Straf-
und Marterqualen (der Adler frißt von der Leber des Prometheus).
Auch andere Hybrismythen, die Hölderlin behandelt, sprechen von der Ver
derblichkeit prometheischer Hybris: Ixion im „Fragment von Hyperion“,
KHA II: 178, Z. 1; (wahrscheinlich auch) in ‘Chiron’, VV. 20-24 [vgl. Schmidt
147 Im Hyperion ist Prometheus vor der ikariscb-herakleischen Entgegensetzung des Helden mit
Alabanda und den Brüdern der Nemesis noch positiv besetzt: „[...] ich hätte die großen
Seelen oft mit feuriger Achtung genannt und gesagt, sie wären Halbgötter, so gewiß, wie
Prometheus, und ihr Kampf mit dem Schicksal von Sparta sei heroischer, als irgend einer
in den glänzenden Mythen.“ (KHA II: 112, ZZ. 12-16) Das berühmte Prometheusverdikt
des Hermokrates im Empedokles leitet die entscheidende Wende ein: der Priester bezichtigt
Empedokles der Überheblichkeit und vergleicht ihn mit dem Titanen. Demnach sei der
Philosoph in Gefahr, sich selbst zu verabsolutieren und sich damit gegen die Natur zu ver
gehen, was dem Feuerraub des Prometheus gleichkomme: [Hermokrates:] „Das hat zu
mächtig ihn / Gemacht, daß er vertraut / Mit Göttern worden ist. / Drum tönt sein Wort
dem Volk’ / Als käm es vom Olymp; / Sie dankens ihm / Daß er vom Himmel raubt /
Die Lebensflamm und sie / Verrät den Sterblichen.“ (Empedokles, zweite Fassung, VV. 32-
40)
In der Feiertagshymne wird die prometheische Kontur des hybriden Dichters ebenfalls
angedeutet, und zwar in den Versen: „Und wie im Aug’ ein Feuer dem Manne glänzt, /
Wenn hohes er entwarf; so ist / Von neuem an den Zeichen, den Taten der Welt jetzt /
Ein Feuer angezündet in Seelen der Dichter.“ (VV. 28-31) Dabei kontrastiert Hölderlin das
„Feuer“ in den Augen des „Mannes“ von hohem Entwurf (VV. 28f.) mit dem „Seelenfeuer“
des Dichters im Moment der messianischen Offenbarung am „Feiertag“. Das „Feuer“ oder
(hybride Leuchten) der begierigen Augen des Prometheus, der auf die Flamme vom Altar
der Götter lauerte, ist verderblich. Die zugleich begeisterte und gebändigte „Seelenflamme“
des inspirierten Dichters dagegen (der „schuldlos“ ist und „wie Kinder“, V. 62) wirkt erlö
send. Wenn das lyrische Ich sich am Ende sogar mit dem „falschen Priester“ (V. 72)
gleichsetzt, so ist die Parallele Prometheus/Empedokles perfekt. Im Entwurf zu einer
Totenklage auf Klopstock (t 1803) steht Prometheus ebenfalls für Hybris und die
Versündigung gegen das Ursprüngliche, die Sphäre der „Eltern“. Der einst gefeierte Heros
wird relativiert: „Er hätte Flammen vom Altäre / / [Lücke?] wär er auch Prometheus / Ob
aber mannigfaltig kommet das Licht, / aber ist es das unschuldigste.“ (Fragment Nr. 59,
VV. 9f.) Prometheus kontrastiert hier der Sphäre des „[u]nschuldigste[n] Licht[es]“. Für
den bewunderten Übervater Klopstock spielt Hölderlin hier das Hybrismotiv durch.