Page 194 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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192 IV. K apitel: Ikarus, Christus und Johannes
Zunächst bringt Hölderlin christliche und antike Protagonisten wieder in eine
chiastische Konstellation, die ikarische und herakleische Mythen miteinander ver
schränkt:
Geistprinzip: Tatprinzip:
Johannes Peleus
Christus Herkules
Legt man die Symmetrie des harmonisch entgegengesetzten Doppelpaares, also des
„Kleeblatts“ aus ‘Der Einzige’ III (V. 77) zugrunde, so ergibt sich eine mythische
Typologie für die Christusgestalt, die ihre väterlichen Züge in Peleus reflektiert
sieht. Christus ist dem Johannes ein „Vater“, wie Peleus der echte Vater des Hel
den Achill, der in der Konstellation der Chiron-Ode als ein Herakles in spe
figuriert. Die ikarische Facette Christi spiegelt wiederum Johannes (und zwar in
seiner Funktion als Pneumatiker). Die herakleischen Merkmale des Messias
Christus verdeutlicht dagegen der Vergleich mit „Herkules“. Dies läßt sich in
einer Typologie veranschaulichen, die die Struktur der Christusgestalt noch ein
mal auflöst:
Johannes als Evangelist: ikarisches Geistprinzip
Christusgestalt
Herkules als Erlöser: herakleisches Tatprinzip
Spitzfindig läßt sich diese Typologie bis in die feinsten Verästelungen der Johan
nesgestalt selbst weiterverfolgen, faßt man den Begriff „Gestalt“ in einem
synthetischen Sinne auf, der mehrere historische Identitäten einschließt:
Apokalyptiker
Evangelist
Täufer
Unterlegt man die alternativen Mythisierungen, die durch die messianische My-
thogenese mitschwingen, ergibt sich:
Ikarus
~>--------------------- Proteus
Herakles