Page 210 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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208              IV. K apitel:  Ikarus,  C hristus und Johannes



          sehen  Geschichte,  stets  auch  das  tätig-politische  Element  des  Herakleiscben in
          Erinnerung:
              Sonst will ich, wenn es die Zeit gibt, die Eltern unsrer Fürsten und ihre Sitze und die
              Engel des heiligen Vaterlands singen.“ (KHA II: 785, ZZ. 8-10)

           Dazu  paßt  auch  die  Aussage  über  das  „vaterländische“  Projekt  im  Brief  an
           Friedrich Wilmans vom  12.3.1804:
              Die verschiedenen Schicksale der Heroen, Ritter und Fürsten, wie sie dem Schicksal
              dienen, oder zweifelhafter sich in diesem verhalten, hab ich im Allgemeinen gefaßt.“
               (KHA III: 472, ZZ. 3-5 - vgl. dazu auch Schmidt 1978: 5f.)

           Damit  ist  das  Antimonarchische  des  Empedokles-Wortes  („Dies  ist  die  Zeit  der
           Könige  nicht  mehr“,  Empedokles I,  V.  1418)  und  der  oft  zitierten  Stelle  aus  dem
           Brief  an  Sinclair  (vgl.  KHA EU: 327,  ZZ.  15-17)  überwunden  und  in  eine  neue
           Synthese überführt:  die Inthronisation eines jesajanischen  „Friedefürsten“  für He-
           sperien.


                    2.3  Die Drachenzähne des Kadmos oder die Krallen des Geistes

           Die Erweiterungen der ersten Fassung von ‘Patmos’ I (=  ‘Patmos’ II) vertiefen die
           dialektische  Struktur  des  messianischen  Entwurfs.  Hölderlin  nimmt  die
           pneumatischen Anspielungen und Bilder immer mehr zurück.  Der Vergleich von
           Johannes,  Herkules  und  Christus  beschränkt  die  Vergeistigungstendenz  von

           ‘Patmos’  I.  Nicht  nur  die  mythisch'1Plastizität  wird  mit  dem  Bildlich-Körperli­
           chen noch einmal betont, sondern auch die politische Messianität. Verszeilen wie
                         [...] Denn noch lebt Christus. (‘Patmos’ I, V. 205)

           sind nicht  nur  im  paulinischen  Sinne  einer  „eschatologischen  Mystik  des  kairos“
           (Taubes  1991:  67)  oder  im  Sinne  einer  allein  geistigen  „Gegenwärtigkeit“  Christi
           (Schmidt,  KHA  I: 999)  zu  verstehen,  sondern  körperlich-konkret.  Und  zwar
           stellvertretend  in  Gestalt  der  verheißenen  Helden  und  „Söhne“,  die  donner­
           geboren  und  apokalyptisch  mit  dem  Namen  Christi  verknüpft  sind  und  die  so
           notwendig auf ihn gefolgt sind seit seinem Tod,  wie sie innerhalb des Verses nach
           ihm kommen:
                         Es sind aber die Helden, seine Söhne
                         Gekommen all [...] (‘Patmos I, VV. 206f.)
           Die  „Helden“  sind  hier  nicht  die  antiken  Heroen  oder  die  entsprechenden
           „Gerechten“ des Alten Testaments, wie „Patriarchen und Propheten“  (‘Am Quell
           der  Donau’,  V. 79),  sondern  die  Helden  der  abendländischen  Geschichte  nach
           Christus  überhaupt.  Hölderlin  versteht  sie  ausdrücklich  nicht  als  Söhne  neben
           dem  einen  „Sohn  Gottes“  (Jesus  Christus),  sondern  wiederum  als  Söhne  Christi
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