Page 137 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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Plejaden
→ Siebengestirn
Rekanonisierung
In der neueren Forschung wird der Begriff vornehmlich im Zusammen-
hang mit emanzipatorischen Strömungen innerhalb der deutschen 1968er-
Bewegung verwendet:
»Die feministische Welle der Re-kanonisierung [sic] beinhaltet die Wieder-
entdeckung von vergessenen Autorinnen aus früheren Jahrhunderten, die aus dem
Kanon ausgeschlossen worden waren, und eine Kritik am von männlichen Werten
dominierten Prozeß der literarischen Darstellung und der literarischen Wertung.«
(R. Schmidt, in: Saul/Schmidt 2007, S. 12).
Auf die Rekanonisierung vergessener Autorinnen innerhalb der linkskri-
tischen Literaturwissenschaft der 1970er und 80er Jahre folgte die Gründung
der sogenannten Gender Studies. Mit der Wiederentdeckung ›weib licher‹
Literatur gelangte somit zugleich eine neue kulturwissenschaftliche Teildis-
ziplin zu institutionellem Rang. Präzisierend ist hier anzumerken, dass für
die Exklusion aus einem Kanon prinzipiell zu unterscheiden ist zwischen
(1.) einem aktiven, z. B. auch rückwirkend denkbaren Ausschluss und (2.)
einem Gar-nicht-erst-in-Frage-Kommen aus sprachlichen, sozialen, ethnischen,
ästhetischen, politischen oder bildungsgeschichtlichen Gründen. Man muss
also differenzieren zwischen dem Akt des Ausschlusses eines Kanonkan-
didaten (unter Voraussetzung der grundsäztlichen Möglichkeit von dessen
Zugehörigkeit) und der prinzipiellen Unmöglichkeit, nach den Maß stäben
und Regeln einer Gesellschaft oder Epoche für eine Kanon auswahl überhaupt
in Frage zu kommen.
Mit Blick auf die Entwicklungsdynamik in den neuen Medien wird der
Begriff der Rekanonisierung auch auf die Aufwertung älterer und wissen-
schaftlich oftmals überholter Werkausgaben oder Wörterbücher bezogen
(in Erweiterung der Begriffsbestimmung bei H. Korte, in: Arnold 2002, S. 36f).
Historische oder ›klassische‹ Druck werke werden von der Forschungsförderung
bei der Retro digitalisierung bevorzugt, weil sie keinem Urheberschutz mehr
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