Page 138 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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unterliegen und daher rechtefrei sind. Erkennbar ist dieser Trend auch in der
               Digitalisierungs politik von Google Book Search als Marktführer in diesem
               Bereich. Je älter ein Buch oder Werk, desto eher bzw. desto umfangreicher
               ist es daher in der Regel im Netz sichtbar und verfügbar.



                                       »Schillermüdigkeit«


                  Der Begriff »Schillermüdigkeit« geht auf den Germanisten Norbert Oellers,
               Jahrgang 1936, zurück (Schiller. Geschichte seiner Wirkung bis zu Goethes
               Tod, 1805-1832, 1967, S. 130). Das so überaus sprechende Wort zielte
               zunächst auf die Erschlaffung der Schillerbegeisterung unmittelbar nach den
               Freiheitskriegen der Deutschen gegen Napoleon (nach 1813/15). Zum Ende
               des 19. Jahrhunderts ereignete sich nach einer längeren Phase der Verehrung
               von Friedrich Schiller eine Art Klassikerwechsel. Bildungsbürger, aber auch
               Arbeitervereine hatten Schiller über Jahre als den Dichter der deutschen Frei-
               heit gefeiert. Mit der Einheit der deutschen Länder und Reichsgründung von
               1870/71 entfiel die politische Motivation dieser Begeisterung aber weitgehend.
               Des Freiheitsdichters müde geworden, entdeckte man Goethe neu. Im Zuge
               dieses Paradigmen wechsels wurde am 21. Juni 1885 die Weimarer Goethe-
               Gesellschaft gegründet. Die »Goethe-Gesellschaft in Weimar« war nicht nur
               Mutter einer Vielzahl von Tochtergesellschaften in aller Welt, sondern wurde
               auch zum Vorbild für die Organisationsform der literarischen Gesellschaft in
               Deutschland überhaupt. Auch Denkmäler wurden nunmehr vermehrt zu Ehren
               des Weimarer Weltdichters Goethe geplant und realisiert, unter anderem in der
               Haupt- und Weltstadt der neuen nationalen Gründerzeit, Berlin. So konnte im
               Berliner Tiergarten bereits am 2. Juni 1880 das Marmor-Standbild Goethes
               von Fritz Schaper feierlich enthüllt werden, ein denkwürdiges Ereignis, das
               Otto Brahm (1856-1912) zu einiger rhetorischer Feierlichkeit veranlasste:


                  »In Berlin also, davon haben wir uns nunmehr zur Genüge überzeugt, ist der
                  Goethe-Kultus am frühsten begründet und gepflegt, in Berlin zuerst ist die über-
                  wältigende Macht des Goetheschen Genius voll anerkannt worden.« (Otto Brahm:
                  Goethe und Berlin. Festschrift zur Enthüllung des Berliner Goethe-Denkmals.
                  Berlin 1880, S. 26)








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