Page 142 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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Siebengestirn


                  Das Wort verwendete Goethe in den Noten und Abhandlungen zum West-
               östlichen Divan als Kanonisierungsmetapher für die sieben bedeutendsten
               Dichter der klassischen Literatur Persiens, die ihren Höhepunkt während
               des (europäischen) Mittelalters erreichte: Firdausī (940/41-1020), Anwārī
               (gest. 1169/70), Nizāmī (1141-1205/1209), Rūmī (1207-1273), Sa’dī (um
               1190-1283/1291), Hāfez (Hafis 1319-1389) und Ğāmī (1414-1492). Der
               Ausdruck Sieben gestirn ist die deutsche Entsprechung für ›Plejaden‹. Im
               18. Jahrhundert war nämlich die Bezeichnung für den markanten Sternhaufen
               am nördlichen Sternhimmel eine übliche Metapher für eine Siebenzahl von
               Autoren mit kanonischem Rang. So versah der Orientalist und Theologe Anton
               Theodor Hartmann (1774-1838) seine Übersetzung der »Sieben Oden« oder
               →Mo’allaqat, einer Sammlung arabischer Poesie aus vorislamischer Zeit, mit
               dem blumigen Titel: Die hellstrahlenden Plejaden am arabischen poetischen
               Himmel oder die sieben am Tempel zu Mekka aufgehangenen arabischen
               Gedichte (1802). Ob Hartmann sich bei seiner Titelwahl von historischen
               Aspekten leiten ließ, bleibt fraglich. Anzuführen wäre etwa die Tatsache, dass
               das europäische Mittelalter der arabischen Kultur die maßgebliche Weitergabe
               antiker Philo sophie, Medizin und Astronomie verdankt.


                  Bei seinen Quellenstudien zum West-östlichen Divan war Goethe auf das
               Wort »Heptaklinion« oder »Siebener-Sofa« gestoßen. Dieser Topos ging
               zurück auf den österreichischen Orientalisten und Diplomaten Joseph von
               Hammer-Purgstall (1774-1856). In seiner bilderreichen Sprache kennzeich-
               nete Hammer damit die herausgehobene Rangstellung der Elite der persisch-
               arabischen Dichter des Mittelalters. So entwarf Hammer in seiner Geschichte
               der schönen Redekünste Persiens (1818) das Bild der sieben großen Perser, die
               als auserwählte Sterbliche »am Heptaklinion des poetischen Himmelsgelages
               am Nektar der Unsterblichkeit trink[en]« (zitiert nach Bosse, in: Charlier/
               Lottes 2009, S. 88, Anm. Nr. 66). Unter Rückgriff auf altgriech. heptá-klinos
               − im Sinne von: ›mit sieben Speisesofas (versehen)‹ − wählte Hammer einen

               Topos aus der Sprachwelt der griechischen Antike. Der versierte Übersetzer
               entschied sich dabei für diejenige Be zeichnung, die seinem Empfinden nach
               dem morgenländischen Charakter seines Gegenstandes am nächsten kam.







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