Page 139 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
P. 139

Schreibweise, alphabetische


                  Alphabetische Schreibweise bedeutet, dass ein Text nach Stichwörtern
               in der Buchstabenfolge des Alphabets gegliedert ist. Eine wichtige Gruppe
               unter den alphabetischen Textsorten bilden Wörterbücher und Lexika. Eine
               Sonderform von Literatur in alphabetischer Schreibweise stellen in der
               Literaturgeschichte die sogenannten ABC-Bücher dar. Es handelt sich dabei
               um illustrierte Emblembücher in Reim- oder Versform für den kindlichen
               Spracherwerb (zur Modernität dieser Form vgl. Karl Philipp Moritz: Neues
               ABC-Buch. Mit Illustrationen von Wolf Erlbruch, 2000; zugleich Neubearbei-
               tung von: Neues A. B. C. Buch welches zugleich eine Anleitung zum Denken für
               Kinder enthält mit Kupfern von Karl Philip Moritz, 1790). Bei Wörterbüchern
               im engeren Sinne nennt man die alpha betischen Stichwörter ›Lemmata‹, und
               zwar nach der Pluralform des alt griech. Wortes lémma, wörtlich für ›alles,
               was man nimmt‹ sowie latein. lémma für ›Überschrift‹. Ein Lemma stellt die
               normalisierte, d. h. auf ihre sprachliche Grundform zurückgeführte Gestalt
               eines Wortes dar. Bei Enzyklo pädien und Lexika, die nicht in erster Linie
               einen sprachlichen, sondern viel mehr einen realen Gegenstand der Sachwelt
               beschreiben (also Realien, im Unterschied zu Wörtern oder Begriffen), heißen
               die alphabetischen Stichwörter ›Lexeme‹.


                  Bei der Wissensdarstellung erscheint die alphabetische Anordnung für uns
               heute selbstverständlich. Die lexikografische Schreibweise genießt sogar große
               Beliebtheit und erfreut sich gerade im modernen Medienzeitalter einer weiten
               Verbreitung. Angesichts der sprunghaften Überflutung mit Informationen orien-

               tieren sich die Menschen am Alphabet wie selten zuvor. Offenbar erinnert eine
               ausführliche Darstellung ›von A bis Z‹ an den Vollständigkeitsanspruch und
               die tröstende Übersichtlichkeit der vertrauten alten Gutenbergwelt. Ein ABC
               funktioniert sogar invers, z. B. als Verzeichnis von Fehlern oder Irr tümern,
               also als akribische Auflistung alles dessen, was es eigentlich auszusortieren
               oder zu ›vergessen‹ gilt. Ein aktuelles Beispiel bildet Jörg Meidenbauers
               Lexikon der Geschichts-Irrtümer mit dem Untertitel: Von Alpenübergang
               bis Zonengrenze aus dem Jahr 2004. Sogar die Belletristik hat die Form für
               sich wiederentdeckt. Das dokumentierte bereits Andreas Okopenkos Lexikon-
               Roman aus dem Jahr 1970. Das Werk trägt den schönen Untertitel Lexikon
               einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden und belegt, wie
               lebendig alphabetische Erzählformen in der belletristischen Literatur auch



                                                                                135
   134   135   136   137   138   139   140   141   142   143   144