Page 143 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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Die arabisch-persische Literatur selbst kannte allerdings zunächst lediglich
               sechs eigene ›Klassiker‹, dies wohl in Anlehnung an sechs berühmte arabische
               Beduinendichter aus vorislamischer Zeit. So wurde der Dichter Ğāmī (sprich:
               Dschaami) erst später in diesen Ur kanon aufgenommen. Ğāmī selbst wiederum

               sprach zu seiner Zeit bloß von einer Dreiheit (vgl. Paul Horn: Geschichte der
               persischen Litteratur. Leipzig 1901, S. 55).


                  In diesem Kontext erscheint bemerkenswert, dass Goethe die Sofa-Meta-
               phorik mit seiner Begriffsbildung völlig ausblendete, als er Hammers Heptakli-
               nion oder Siebener-Sofa mit Siebengestirn wiedergab. Offenbar vermied Goethe
               den Bezug zum titelgebenden Motiv seines Divan ganz bewusst. (Das Wort
               dīwān stammt aus dem Persischen und wurde ins Arabische und Türkische
               übernommen. Die wichtigsten Bedeutungen des Wortes sind ›Sofa, Ruhe bett‹;
               ›Versammlung, Rat‹  sowie ›Anthologie, Gedicht-Sammlung‹. In der Bedeu-
               tung ›Sitzmöbel‹ kommt das Wort in Goethes Werk ansonsten gar nicht vor.)

                  In der griechischen Mythologie wurden die Plejaden, die sieben Töchter des
               Titanen Atlas und der Okeanide Pleione, vom Göttervater an das Firma ment
               versetzt, weil der Himmelsjäger Orion ihnen nachstellte. Wie hoch Goethe
               die Klassiker der persischen Dichtung geschätzt haben mag, vermittelt das
               folgende Bonmot, das Goethe von seinem langjährigen Mitarbeiter Friedrich
               von Müller als gesprächsweise Äußerung zugeschrieben wird:

                  »Die Perser hatten in fünf Jahrhunderten nur sieben Dichter, die sie gelten ließen,
                  und unter den verworfenen waren mehrere Kanaillen, die besser als ich waren.«
                  (Goethes Gespräche, ergänzt und hg. von Wolfgang Herwig, 3. Bd., S. 592; datiert
                  auf den 2.10.1823)
                  Die Selbstironie dieser Aussage verleitet dazu, Goethes mythischer
               Metaphern wahl eine versteckte Pointe abzugewinnen. Denn einer Überlie-
               ferungsnuance nach versetzte Zeus die sieben Plejaden zwar ganz nah an das
               Sternbild des Jägers Orion − doch ohne die Möglichkeit für den Himmelsjäger,

               die begehrten Töchter der Pleione je zu fassen zu kriegen, denn die Sterne
               am Himmel sind ja bekanntlich fix. Für die Literatur ergibt sich folgende
               Analogie: So sehr sich ein Autor (Orion; hesperischer Dichter) auch bemüht,
               auf der Jagd nach Welt ruhm und Ehre die Attraktionskraft (den Kanonrang)
               seiner geliebten und be wunderten Vorbilder (Plejaden; persische Dichter) zu
               erlangen, so unerreich bar bleibt dieser Wunsch. Denn unverrückbar erscheinen



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