Page 152 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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»Unklassisch«
In der europäischen Kunstgeschichte durchlief das Wort ›klassisch‹ eine
ganz eigene Karriere. Unter einem ›klassischen Bild‹ verstand man bis ins
19. Jahrhundert ein Werk der tonangebenden und schulbildenden Malerei seit
der Renaissance. Diese akademische Kunst bevorzugte Stoffe und Motive
aus der antiken Mythologie und der Bibel. Formal dominierte die Linie als
Ausdrucks mittel einer ausgewogenen Darstellung. Im Gegensatz zu diesem
Verständnis von malerischer ›Klassik‹ erhebt der Berliner Kunsthistoriker
Werner Busch (Jahrgang 1944) das Stilmittel des Helldunkel (»Clair-obscur«)
zum Charakteristikum der manieristischen Malerei und entwickelt daraus seine
»Geschichte des malerischen Modus als einer Form gänzlich unklassischer
Sinngenerierung« (Das unklassische Bild. Von Tizian bis Constable und Turner,
München 2009; hier S. 7). Allerdings räumt Busch ein, Zentralfiguren wie
Diego Velázquez (1599-1660) überhaupt nicht und Zwischengestalten wie
Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610) lediglich indirekt berück-
sichtigt zu haben, was den Anspruch seiner Begriffsbildung von vorneherein
erheblich relativiert.
Weimarer Klassik
Nach dem Stand der Forschung umfasst ›Weimarer Klassik‹ jene Phase
der Weimarer Hof- oder Hochklassik, die in etwa den Zeitraum von Goethes
Auf bruch nach Italien im September 1786 bzw. den Beginn der Freundschaft
mit Schiller im Sommer 1794 bis zu dessen Tod im Mai 1805 umspannt. Mit
den Jahreszahlen 1794 bis 1805 markiert die Germanistik auch gerne den
signifikanten Zeitraum, der für die Konstruktion der Weimarer Klassik maß-
geblich geworden ist. Dies geschieht in Abgrenzung zum »ersten Weimarer
Jahrzehnt«, also der Phase zwischen der Berufung Goethes nach Weimar
1775/76 und Goethes überstürztem Weggang nach Italien im Herbst 1786.
Die Angabe ›Jahrzehnt‹ ist wiederum stilisierend gebraucht. Denn tatsächlich
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