Page 154 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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Betrachtet man die Geschichte und Struktur Arolsens als exemplarisch-
               repräsentative Hofhaltung jener Zeit, so ergeben sich eine Fülle von Parallelen
               zu Goethes Weimar. Wie zahlreiche ihrer Standesgenossen plante die Fürstin
               Christiane − eine Schwester von Karoline, der berühmten Landgräfin von

               Hessen-Darmstadt − aus dem Arolser Residenzschloss einen →Musensitz zu
               machen. Die Stichworte dieser Hofkarriere aus der nordhessischen Provinz
               lesen sich wie eine Beschreibung von Weimars Werdegang zu Weltruhm:
               Antike begeisterung, Italiensehnsucht und fürstliche Italienreisen (»Grand
               Tour«), aber auch die Begründung von Kunstsammlungen sowie ausgiebiges
               Mäzenaten tum − aktive Kulturförderung und großzügiger Schlösserbau. Chri-
               stiane beschäftigte sogar ebenfalls einen »Geheimen Rat« (d. h. Minister),
               der sie maß geblich bei der Verwirklichung ihrer kulturpolitischen Ambitionen
               unterstützen sollte. Der Bruder des Prinzen kumulierte eine Antikensammlung,
               die den europäischen Vergleich zu jener Zeit nicht zu scheuen brauchte. Das
               Potential dieser Hofhaltung zu einem möglichen ›zweiten Weimar‹ auch nur
               ansatz weise zu skizzieren, würde den vorgegebenen Rahmen sprengen. Um
               sich aber das polyzentrische Potential der deutschen Kulturlandschaft um
               1800 vor Augen zu führen, sei auf die muster gültige Katalogpublikation zur
               gleichnamigen Ausstellung im Arolser Residenzschloss verwiesen (Antikes
               Leben. Ideal und Wirklichkeit in Hofbibliothek und Kunst sammlungen der
               Fürsten von Waldeck und Pyrmont, hg. von Jürgen Wolf u. a., Petersberg 2009).
               Warum sich letztlich Weimar als Paradigma durchsetzte, mag die Aufstellung
               folgender Schlüsselereignisse und Eckdaten verdeutlichen:



                   1772: Berufung Wielands als Prinzenerzieher am 28. August

                   1775: Ankunft Goethes als persönlicher Gast des Herzogs

                   1776: Berufung Goethes als Kabinettsmitglied
                   1786: Aufbruch Goethes nach Italien am 3. September

                   1794: offizielle Erstbegegnung Goethes und Schillers am 20. Juli

                   1799: Umzug Schillers von Jena nach Weimar im Dezember

                   1805: früher Tod Schillers durch Krankheit am 9. Mai

                   1832: Tod Goethes im Alter von 83 Jahren am 22. März




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