Page 156 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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sich, Goethes Singspiel Erwin und Elmire zu vertonen. Wobei sie sich als
begabte Komponistin erwies! Das bedeutete auch für die Umbruchphase am
Ende des 18. Jahrhunderts eine kleine Sensation.
Ein heute so gut wie vergessenes Vermächtnis von Goethes früher Wei-
marer Zeit bilden die zahlreichen Übersetzungen und Bearbeitungen von
Opernlibretti, die er und Anna Amalia aus Italien mit brachten. Für eine
weitere Inspirationsquelle sorgten die fahrenden Schauspiel truppen, die in
Weimar Station machten und aus einem reichhaltigen Musiktheater-Repertoire
schöpften. Darunter be fanden sich bedeutende Werke der italienischen Opern-
literatur des späten 18. Jahrhunderts. Mit Hilfe begabter Schriftsteller und
Theaterleute wie Christian August Vulpius (1762-1827) bearbeitete Goethe
einige dieser bedeutenden Texte der musikdramatischen Weltliteratur für die
Bühne. Als Bruder von Goethes späterer Ehefrau Christiane gehörte er nicht
nur zur Familie. Vulpius war auch ein nach heutigen Maßstäben überaus
erfolgreicher Schriftsteller. So erfreute sich sein später häufig als Trivial-
roman bezeichneter Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann (1799) auch
in Weimar großer Beliebtheit. Goethe sorgte in seiner amtlichen Rolle als
Intendant und fleißiger Regisseur des Weimarer Hoftheaters schließlich selbst
für eine beachtliche Zahl von Opernaufführungen. Seine Bühnenrezeption
des italienischen Musik theaters umfasste dabei − direkt oder mittelbar − die
Werke von Pasquale Anfossi (1727-97), Francesco Durante (1684-1755),
Niccolò Piccinni (1728-1800), Antonio Sacchini (1730-1786), Antonio Salieri
(1750-1825) und Giovanni Battista Sammartini (1700-1775).
Bei seinen Bemühungen um die Oper handelt es sich um einen Aspekt
der Goetheschen Lebensleistung, die von der literaturverliebten ›nationalen‹
Goethe-Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts fast vollständig in den Hinter-
grund gedrängt wurde. Eines der heute im kulturellen Gedächtnis verblassten
Prunkstücke dieser Synthese bildet Goethes hochpoetischer Textentwurf für
eine Fortsetzung des Librettos von Mozarts Zauberflöte. Leider ist dieser
Bühnentext Fragment geblieben. Ebenso ambitioniert - wie bis heute verkannt
- sind weitere Opernbearbeitungen von der Hand Goethes. Dabei handelt es
sich zumeist um Übersetzungen, Nachdichtungen oder freiere Bearbeitungen.
Goethe wirkte hier nicht primär als Originalgenie, sondern bemühte sich
kongenial um bedeutende Vorlagentexte der europäischen Opernliteratur. Das
hohe Maß an Sangbarkeit von Goethes Operndeutsch gilt zudem als erwiesen.
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