Page 66 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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Goetheforscher und Gervinus-Schüler Michael Bernays (1834-1897), ab 1874
Ordinarius für neuere Sprache und Literatur in München, und der österreichi-
sche Germanist Wilhelm Scherer (1841-1886), ab 1877 Ordinarius für neuere
deutsche Literaturgeschichte in Berlin. Das Adjektiv ›germanistisch‹ blieb im
älteren Sprachgebrauch noch länger auf das germanische Recht bezogen. In
Deutschland studieren das Fach heutzutage weitaus mehr Frauen als Männer.
Germanistinnen sind also eigentlich die akademische Regel. (Die Anregung
zu diesem Stichworteintrag geht auf eine Streitschrift von Frank Schweizer
zurück: Die Bedeutungsindustrie. Eine kritische Einführung in die Unarten
der Germanistik. Berlin 2009.)
Globalisierung
In den Sozial- und Geisteswissenschaften erzielten zur Jahrtausendwende
vor allem Theoriebildungen eine besondere Wirkung, die mit ihren Erklärungs-
modellen die Vorstellung von der sogenannten Einen Welt favorisierten:
»Die Einheit der Welt ist am Ende des 18. Jahrhunderts wesentlich hergestellt,
zwar bleiben bis zum Ersten Weltkrieg noch immer einige kleiner werdende
›weiße Flecken‹, aber mit diesen Ausnahmen […] ist die gesamte Welt zugänglich
gemacht worden. Keine Frage, dass dies ein historischer Vorgang von fundamenta-
ler Bedeutung war.« (Hans-Heinrich Nolte: Weltgeschichte. Imperien, Religionen
und Systeme [vom] 15.-19. Jahrhundert, 2005, S. 339).
Diese Entstehung oder »Herstellung« (ebd.) der Einen Welt fand auch
in der Sprache ihren unverkennbaren Niederschlag. Zur Bezeichnung der
einhergehenden Umbrüche entstand sogar eine eigene Wortfamilie, die die
Institutions- und Begriffsgeschichte der Globalisierung bis heute maßgeb-
lich prägt. So erweist sich die Wortbildung mit dem Kompositum Welt- im
modernen Hochdeutsch als geradezu unüberschaubar. Man denke in diesem
Zusammenhang an Leitbegriffe der Globalisierungsdebatte wie Weltbank,
Weltgesellschaft, Welthandel, Weltinnenpolitik, Weltwährungsfonds oder
Weltwirtschaft. Als hellsichtiger Diagnost der Globalisierungstendenzen zu
Beginn des 19. Jahrhunderts prägte Johann Wolfgang von Goethe bereits eine
Fülle solcher Welt-Begriffe, die zugleich kritisch mit den darin beschriebenen
Bestrebungen und Entfremdungseffekten ins Gericht gingen. So bezeichnete
sich Goethe zu jener Zeit gerne als Weimarer und »Weltbewohner« und
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