Page 75 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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Ilm-Athen
Beiname für Weimar als Ort der klassischen deutschen Literatur und des
Wir kens der großen Dichter und Denker. Da der Ausdruck bereits zur Goe-
thezeit geprägt wurde, bezieht sich das Etikett im Kern auf das Wirken des
klassischen Vierergestirns, Goethe, Schiller, Herder und Wieland. So erfolgte
die Würdigung der Verdienste von Anna Amalia oder Maria Paulowna als
maß gebliche Förderinnen und ›Musen‹ der Kunst und Literatur Weimars erst
viel später. Im Epilog zu einem seiner heute so gut wie vergessenen Mas-
kenzüge verwendete Goethe den Begriff Ilmathen zwar nicht ausdrücklich.
Der Dichter verfasste das Stück zum 18.12.1818 anlässlich des fürstlichen
Weimarbesuchs der Mut ter der nach Sachsen-Weimar-Eisenach eingeheira-
teten Erbgroßherzogin Maria Paulowna, Maria Feodorowna (1759-1828). −
Die Feodorowna, eine geborene Prinzessin von Württemberg, wurde zweite
Gemahlin des russischen Zaren Paul I. und damit Kaiserin von Russland.
Angesichts derart hochherrschaftlicher Gegenwart fürstlicher Personen wagte
es Goethe, das provinzielle Weimar in einem Atemzug mit der Stadtgöttin
Athene zu nennen, so wenn er den Auftritt seiner Allegorie des Ilme-Flusses
mit den folgenden Worten poetisch ausmalt:
»Die Ilme kann sich nicht versagen noch einmal zu erscheinen und ihren höchsten
Stolz auf den heutigen Tag zu bekennen. Auf ihrer Spur tritt festlich froh, jedoch
über das lange Verweilen der Nacht, über zudringliche Darstellung allzuvieler
poetischer Erzeugnisse gleichsam ungeduldig, herein der Tag, begleitet von
Pallas Athene, welche den Bund mit ihrer so lange begünstigten getreuen Stadt
feierlichst erneuert, und von Klio, die sich verpflichtet deren Ruhm auf’s neue,
gegenwärtiges Fest verkündend, in aller Welt auszubreiten. Vorgeführt werden
sodann: Künste und Wissenschaften. Alle, bisher von dem Höchsten Hause für
mannichfaltige Dienste gepflegt und gewartet, widmen und empfehlen sich einer
frohen glücklichen Nachkommenschaft.« (Weimarer Ausg., I. Abt., Bd. 16, 1894,
S. 243 − Hervorhebungen original.)
Über ihren ›unsterblichen‹ Rang am kleinstädtischen Wirkungsort waren
sich Goethe und Schiller auch an anderer Stelle einig, so im »Ilm« betitelten
Xenion aus Schillers Feder, veröffentlicht im berühmten Musen-Almanach
auf das Jahr 1797: »Meine Ufer sind arm, doch höret die leisere Welle, |
Führt der Strom sie vorbei, manches unsterbliche Lied« (Weimarer Ausg.,
I. Abt., Bd. 5.1, 1893, S. 219). Für die Zusammenschau der Hauptstadt der
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