Page 76 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
P. 76

Antikeverehrung (Athen) und der deutschen Kleinstadtprovinz (Weimar) gibt
               es eine Parallele, die sich ebenfalls auf einen Protagonisten der Weimarer
               Klassik bezieht:

                  »Biberach liegt an der Riss. Weil der Rokokodichter Christoph Martin Wieland
                  in Oberholzheim bei Biberach geboren wurde und einige Jahre in der Stadt tätig
                  war, wird diese von Lokalpatrioten auch Riss-Athen (oder Athen an der Riß)
                  genannnt.« (R. Deiss 2009, S. 30 − Hervorhebung und Orthografie original.)

                  Im Unterschied zur ›höfischen‹ Valenz des Wortes Musenhof versinn-
               bildlicht die Wortschöpfung Ilm-Athen den städtischen Bezug für einen Ort
               kultureller und literarischer Blüte (→Isar-Athen; →Spree-Athen). Erstmals
               literarisch belegt ist der Stadtbeiname zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aus
               Vorstufen und Abwandlungen wie »Athen von Deutschland« bei Christoph
               Wilhelm Hufeland (undatiert), »Deutschlands Athen« bei August Ferdinand
               von Kotzebue (1803 bzw. 1811), »deutsches Athen« (Hermann Fürst von
               Pückler-Muskau, 1828) und »Deutsches Ilm-Athen« (Adolf Stahr, 1851) ent-
               wickelte sich die Prägung zum eigenständigen Topos. Dessen Verbreitung als
               allgemeines Sprachgut wird dabei Karl von Holtei (1798-1880) zugeschrieben
               (vgl. Weimar. Lexikon zur Stadtgeschichte, hg. von Gitta Günther, Wolfram
               Huschke und Walter Steiner. Weimar 1998, S. 221).



                                  Index der verbotenen Bücher


                  Auf Veranlassung der Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis
               (auch: Indexkongregation; seit 1965: Kongregation für die Glaubenslehre) des
               Heiligen Offiziums unter Paul IV. (geb. 1476, gest. 1559) erschien erstmals im
               Jahre 1559 in Rom ein gedrucktes alpha betisches Verzeichnis aller Autoren
               und Werke, deren Lektüre für einen Ka tholiken verboten waren. Der Titel
               dieser Schrift lautete Index librorum prohibitorum (›Index der verbotenen
               Bücher‹). Das kirchenrechtlich sanktionierte Verbot ist bekanntlich die histo-
               risch prominenteste Methode ›negativer Kanonisierung‹ eines Autors oder
               Textes in der bekanntgewordenen Geschichte der Weltliteratur. Im Zeitalter
               der Aufklärung bewirkte diese Macht der kirchlichen Autorität zur Indizierung
               von Glaubensgegnern und ihren Werken oder Ideen aber zuweilen das genaue
               Gegenteil. Zwar bedeutete ein Platz auf dem Index auch für einen Aufklärer
               und Freigeist einen ernstzunehmenden gesellschaftlichen Makel. Dies galt



               72
   71   72   73   74   75   76   77   78   79   80   81