Page 86 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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(Künstler, Komponist, Autor, Denker). Mit genügendem historischen Abstand
spricht man dann in bestimmten Fällen auch von einem →Klassiker. (B) ein
artEfaKt oder wErK in Form von Skulptur, Bild, Text oder Textkorpus; (C) eine
bestimmte künstlerische, literarische, philosophische oder wissen schaftliche
gruPPE, sei es eine Schule, eine Denkrichtung oder auch eine be stimmte
machart, wie etwa ein bestimmter Stil oder eine bestimmte Stil schule;
(D) eine EPochE der Kunst-, Literatur- oder Wissenschaftsgeschichte (z. B.
→Goethezeit; deutsche/Weimarer Klassik; Renaissance, Barock, Ro mantik);
(E) eine literarische gattung (oder ein Genre oder Subgenre); Beispiel: das
Sonett in der Renais sance, der (satirische) Briefroman im 18. Jahrhundert, der
polyperspektivische Roman in der Moderne (Thomas Mann, Marcel Proust,
James Joyce).
Kanoninstanz(en)
Der Begriff bezeichnet Individuen oder kollektive Subjekte, die ihre
Willens- und Auswahlentscheidungen in Form eines verbindlichen Kanons von
Werken oder Schriften festschreiben (vgl. dazu die Definition bei H. Korte,
in: Arnold 2002, S. 31). In der europäischen Literaturgeschichte hatten fol-
gende Autoritäten und Instanzen maßgeblichen Anteil an der Festlegung von
litera rischen Kanons:
` Buchhändler und Verleger (seit etwa 1700)
` Journale und Zeitschriften (seit etwa um 1800)
` Philologie und Germanistik (seit 1850)
` Gymnasium, Universität (seit Ende des 19. Jahrhunderts)
` moderne Publizistik, digitale Medien (20./21. Jahrhundert)
Hierbei kam es zu bemerkenswerten Wechselwirkungen zwischen einzelnen
Instanzen der Kanonisierung. Ein treffendes Beispiel bilden die Klassiker-
ausgaben der sogenannten Universal-Bibliothek des traditionsreichen Verlages
von Anton Philipp und Hans Reclam (RUB). Seit Ende des 19. Jahrhunderts
bildeten diese Klassikereditionen die Grundlage für den Literaturunterricht
von Schülern und die literarische Kanonpflege an den Universitäten. Durch
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