Page 97 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
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Klassik


                  Folgt man den Etymologen, so geht das deutsche Substantiv ›Klassik‹ auf
               das lateinische Adjektiv classicus zurück. Das lateinische Eigenschaftswort
               ist selbst wiederum auf ein lateinisches Nomen zurückzuführen, nämlich
               den Wortstamm des Wortfeldes »Klasse«. Philologisch gilt als weitgehend
               gesichert, dass der Begriff von dem lateinischen Schriftsteller und Juristen
               Aulus Gellius (ca. 130-180 n. Chr.) geprägt wurde. Denn als »scrīptor clas-
               sicus« bezeichnete Gellius einen mustergültig schreibenden Schriftsteller
               (→klassisch, classicus). Im lateinischen Verständnis war damit ein Autor
               gemeint, der eine grammatisch derart korrekte und sprachlich so ausgezeichnete
               Schriftsprache pflegte, dass er für jeden Römer als Vorbild (Paradigma) dienen
               konnte. Anhand der Texte eines classicus scriptor sollte vom Schulkind bis
               zum fremden ›Barbaren‹ das Lateinische musterhaft erlernt werden können!
               Das war die römische Vorstellung einer Synthese von qualitativer ›Klasse‹
               und literarischer ›Klassizität‹.

                  In einem übergreifenden Sinn beschreibt der Begriff der Klassik eine
               Epoche kultureller Höchstleistungen und ihre mustergültigen Hervorbrin-
               gungen, sei es auf den Gebieten der Kunst, der Literatur, der Musik oder der
               Wissenschaft (→Blütezeit). Terminologisch sind heute noch die Ver bindungen
               antike Klassik und griechische Klassik. Gemeint ist damit diejenige Epoche
               Griechenlands im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert, deren Höhe punkt
               gerne als »Zeitalter des Perikles« bezeichnet wird und als Geburts stunde
               der Athenischen Demokratie gilt. Daneben sind die Begriffe →Weimarer
               Klassik für die Literatur und →Wiener Klassik in der Musik noch allgemein
               gebräuchlich. Das deutsche Substantiv wird als allein stehendes, nicht attri-
               buiertes Wort heute allerdings ganz überwiegend im Sinne von ›klassische
               Musik‹ verwendet. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Meto nymie. So
               rubriziert die Überschrift »Klassik« in einem Verlagskatalog mit an Sicherheit
               grenzender Wahrscheinlichkeit Tonträger mit der entsprechenden Musik von
               in etwa der Barockzeit (Bach, Monteverdi) bis zur Epoche Richard Wagners.
               Gemeint ist dann mehr oder weniger präzise das Repertoire der klassisch-
               romantischen Musikepoche in Europa (→Klassik, musikalische).









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