Page 99 - Robert Charlier: Google statt Goethe?
P. 99
Dichter vom 16. bis ins ausgehende 19. Jahrhundert und wuchs auf insgesamt
153 Bände. Die Sammlung reichte von Ulrich von Huttens Gesprächsbüchlein
(1521) bis zu Theodor Fontanes Der Stechlin (1897).
Klassik, literarische
Das Wort bezeichnet zunächst den Höhepunkt oder eine →Blütezeit in der
geschichtlichen Entwicklung einer nationalen Literatur. Das Reallexikon der
deutschen Literaturwissenschaft bemerkt zu Recht, dass der Gebrauch des
Begriffes »historisch-deskriptive und normative Aspekte [vermischt]« und
»zwischen Stil- und Epochenbegriff [changiert]« (Thomé 2000, S. 266; s. in
der Biblio grafie unter Punkt C). Vom übergreifenden Epochen- und Stilbegriff
ist darüber hinaus die ›literarische‹ Klassik im engeren Sinne zu unterscheiden.
Seit den Forschungen zur sogenannten Klassik-Legende der 1970er Jahre
unterscheidet die Germanistik zwischen deutscher Klassik - als veralteter
Begriff der Literatur geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts − sowie
Weimarer Klassik. Letzterer gilt heute als eingeführter Begriff zur adäquaten
Bezeichnung des historischen Phänomens ›klassisches Weimar um 1800‹.
Klassik, musikalische
Ausgangspunkt für eine Kanonreflexion im Bereich der Musik bildet der
Begriff der Universalität. So wurzelt das Repertoire der klassischen Musik
weitgehend im theologischen Universalitätsanspruch der europäischen Kirchen-
musik. Diese Universalität lebt heute in der Vorstellung von der Musik als
übergreifender musikalischer Weltsprache fort. Aus dieser Prämisse lässt
sich die These ableiten, dass diese Vererbung von Absolutheitsansprüchen in
der Musik den globalisierten Erfolg der europäischen musikalischen Klassik
überhaupt erst möglich gemacht hat. In der Musikwissenschaft werden auch
gerne parallele Klassikbegriffe für vermeintlich vergessene oder wiederent-
deckte Kulturkonstellationen konstruiert. Dies geschieht beispielsweise mit
der These von einer ›Londoner Klassik‹ analog zur Wiener Klassik (Anselm
Gerhard: London und der Klassizismus in der Musik, 2002). Die Londoner
Musik kultur spielte Gerhard zufolge seit etwa 1780 eine maßgebliche Rolle
bei der Entstehung der autonomen Instrumentalmusik, wie wir sie heute als
95