Page 116 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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           Philo  spricht  in  seiner  Schrift  über die Weltschöpfung  ricpi  xf\<g  Kcnd  Mcouoea
           KOopoKoiiaq  (De  opificio  mundi)  mehrfach  von  dieser  Erstgeburt  des  göttlichen
           Logos, und zwar noch vor der Erschaffung der Dinge, Pflanzen und Wesen. Dabei

           entwirft  Philo  die  „Weltbildung“  (im  Gegensatz  zu  einer  Weltenstehung aus  dem
           Nichts)    als  Zusammenwirken  einer  „wirkenden   Ursache“   mit  einem

           „Leidenden“.108 Dies geschieht  ganz im platonischen Sinne und gegen die aristote­
           lische  „Untätigkeit“  des  Schöpfers  und  die  „Ungeschaffenheit“  der  Welt  (vgl.
           Cohn 21962:  I,  29,  Anmerkung Nr.  1).  Solange  Gott  nur  die  Materie,  aber  auch
           Fauna  und  Flora  erschuf,  kam  er  mit  seiner  „Vernunft“,  seinem  „Plan“  als
           „wirkende Ursache“ aus. Denn in den Elementen, in Steinen, Pflanzen und Tieren
           ist  nichts  moralisch  Böses  enthalten.  Aber  zur  Erschaffung  des  Menschen,  der
           kraft seines freien Willens immer auch  das Schlechte  in sich trägt,  benötigte Gott
           bei Philo  die vermittelnden  „Kräfte“  aus dem  göttlichen  Logos.109 10Schließlich  ist
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           es undenkbar,  daß  Gott  direkt  mit  dem Bösen in Kontakt  kommt;  für Übel  und
           Leid  sind  demnach  diese  demiurgischen  Hilfskräfte  aus  dem  präexistenten  Logos
           verantwortlich zu machen.
               An anderer Stelle analogisiert Philo das Verhältnis von Schöpfer zu Geschöpf
           mit der Trias von vorgedachtem Urbild (der „Idee“ Gottes), seinem Abbild (Logos,

           Kräfte)  und Ebenbild (Mensch,  Adam)  als  „Bild vom Bild“.’ 10  Zunächst  seien  die
           drei Ebenen dieser Vorstellung noch einmal vergegenwärtigt:




            108  „Moses  aber [...]  erkannte  sehr  wohl,  dass  in  den  existierenden  Dingen  das  eine  die  wir­
               kende Ursache, das andere ein Leidendes sein muss, und dass jenes Wirkende der Geist des
               Weltganzen ist, der ganz reine und lautere [...],  dass das  Leidende dagegen an und für sich
               unbeseelt und unbeweglich ist, nachdem es aber von dem Geiste bewegt und gestaltet und
               beseelt worden, in das vollendetste, in diese (sichtbare) Welt sich verwandelte.“ (De opificio
               mundi,  2 /  8-9; Cohn 21962:1, 29)
            109  „Für Gott den Allvater geziemte es sich wohl, selbst und allein die tugendhaften  Wesen zu
               erschaffen [= die Tiere, R. C.], weil sie ihm selbst verwandt sind;  auch die Schöpfung der
               indifferenten Dinge  [=  die unbelebte Natur, R. C.] lag ihm nicht fern, da auch diese an der
               ihm  verhassten  Schlechtigkeit  keinen  Anteil  haben;  dagegen  war  die  Schöpfung  der ge­
               mischten  Wesen  [ -   der  Menschen,  R.  C.]  [...]  passend  wegen  der  ihnen  beigemischten
               besseren Idee, unpassend wegen der entgegengesetzten schlechteren.  Deshalb heisst es  nur
               bei der Schöpfung des  Menschen,  dass  Gott  sprach:  „lasst  uns machen“  [ = 1   Mo  1,  5;  R.
               C.], was die Hinzuziehung anderer als Mitarbeiter andeutet, damit bei den tadellosen Ent­
               schlüssen [...] der Lenker aller Dinge,  als  Urheber gelte,  andere  Wesen dagegen, die  seine
               Untergebenen  sind,  bei  den  entgegengesetzten;  denn  nicht  durfte  der  Vater Urheber  des
               Bösen für seine Kinder sein [...].“ (De opificio mundi, 24/74L; Cohn 21962:1, 52f.)
            110  „[...] sagt  er [=  Moses, R.  C.] doch im folgenden bei  der Beschreibung der Schöpfung des
               Menschen  ausdrücklich,  dass  dieser  nach  dem  Ebenbilde  Gottes  gebildet  wurde
               (1 Mos.  1, 27).  Wenn aber schon der Teil Abbild eines  Bildes  ist,  also  auch die  ganze  Gat­
               tung [...] eine Nachahmung des göttlichen Bildes, so ist klar, dass das ursprüngliche Siegel
               (das  Urbild), wie wir die gedachte Welt nennen, die Vernunft Gottes selbst ist.“ (De opificio
               mundi,  6/25; Cohn 21962:1, 35)
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