Page 138 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
P. 138
136 III. Kapitel: D er F lu g des G enius
Geiste machen den herakleischen Menschen zum Halbgott. Damit sind Geistiges
und Heroisches Teil des Erhebungstopos. Geistiger wie heldischer Bildpol bilden
aber keine mythisierten Existenzialien. Sie sind vielmehr mythische Vorlieben des
Dichters, die er mit theologischen Elementen versetzt. Der politische Impetus
zielt dabei stets über das Theologische, Ästhetische und Poetische hinaus und
zeugt von einer kulturkritischen Intention (Chiron als Kritiker der Entfremdung;
Herakles und Odysseus als Erneuerer der Gesellschaft). Hölderlin überwindet mit
seinen Helden die Tragik des Mythischen, indem er sie in den Bann eines
Messianismus stellt, der sich über den griechischen Logos hinaus aus der jüdischen
Ruach speist.130
An der spekulativ erarbeiteten Ikarusfigur läßt sich das besonders gut zeigen.
Einerseits bezeugt die späte Notiz „Katastrophe], (Ikarus.) Phaeton“
(FHA Supp. III: 130 - die runde Klammer markiert eine Streichung) das späte
Interesse Hölderlins an tragischen Figuren wie Ikarus und Phaethon.131
Andererseits enthalten gerade diese flugbegeisterten Heißsporne bereits in der
Mythenüberlieferung einen Charakterzug, der sie prädestiniert, das Tragische zu
überwinden: ein Element der Unschuld oder zumindest der relativen Hybris (im
130 „Wir müssen also auch über den Staat hinaus! - Denn jeder Staat muß freie Menschen als
mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht
von selbst, daß hier alle Ideen, vom ewigen Frieden u. s. w. nur untergeordnete Ideen einer
hohem Idee sind. [...]“ („Entwurf - Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus,
KHA II: 576, ZZ. 3-7). Auch messianische Implikationen sind am Schluß des
„Systemprogramms“ offensichtlich: „Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß diese
neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der Menschheit sein.“
(ebd. 577, ZZ. 24-26)
131 Die Streichung innerhalb der Notiz verrät, daß Hölderlin Ikarus- und Phaethonstoff dicht
beieinander ansiedelte. Er favorisiert jedoch den stürzenden Sohn des Gottes Helios dem
steilaufstrebenden Sohn des Dädalus für seine Gestaltungsabsichten. Das Wort
„Katastrophe“ könnte dabei zwischen dem Schicksalsbegriff der antiken Tragödie und den
Elementen in der Geschichte von Strafe und Untergang des Phaethon stehen, die sich dem
Dichter für eine „pseudo-apokalyptische“ Aufladung anboten. Dazu gehören die Bilder
von Blitz, Feuer und Dürre beim katastrophalen Sturz des Übermütigen in den
Weltenstrom Eridanus: „[die Pferde des Sonnenwagens, R. C. ] stecketen also dort die
Wolken in Brand, hier aber machten sie, daß die Erde vor Hitze von einander borst, alles
Gras weiß wurde, die Bäume und Feldfrüchte mit ganzen Städten und Völkern
verbrannten, die größten Berge in Flammen geriethen, so daß auch der Sonnenwagen selbst
anfieng, glüend zu werden, und Phaethon vor Hitze, auffliegender Asche und Rauche nicht
mehr zu bleiben wußte. [...] daher er [Jupiter, R. C.J denn endlich den elenden Phaethon
mit dem Blitze von dem Sonnenwagen herunter schlug [...].“ (Hederich 1770, Sp. 1961f.)
Hederich parallelisiert auch die Namensetymologie des „Helios“-Sohnes mit dem
Vorboten des Messias, „Helias“-Elias. Die Phaethonfigur ist besonders mit dem
(Sonnen)Wagen verknüpft, ein Motiv, das in ‘Chiron’ und ‘Der Einzige’ eine wichtige
Rolle spielt: „[einige der vielen Ausleger des Phaethonsmythos deuteten] seinen
Sonnenwagen auf den Wagen des Elias, und machen auch selbst aus dem Helius, oder der
Sonne, den Elias.“ (Hederich 1770, Sp. 1965)