Page 176 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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174 IV. K apitel: Ikarus, C hristus und Joh an n es
Es ist auch gut, und sogar die erste Bedingung alles Lebens und aller Organisation, daß
keine Kraft monarchisch ist im Himmel und auf Erden. Die absolute Monarchie hebt
sich überall selbst auf, denn sie ist objektlos; es hat auch im strengen Sinne niemals
eine gegeben. Alles greift in einander und leidet, so wie es tätig ist, so auch der reinste
Gedanke des Menschen, und in aller Schärfe genommen, ist eine apriorische, von aller
Erfahrung durchaus unabhängige Philosophie, wie Du selbst weißt, so gut ein Un
ding, als eine positive Offenbarung, wo der Offenbarende nur alles dabei tut, und der,
dem die Offenbarung gegeben wird, nicht einmal sich regen darf, um sie zu nehmen,
denn sonst hätt’ er schon von dem Seinen etwas dazu gebracht. (KHA DI: 327, ZZ. 15-
28)
Das erklärt, warum Hölderlin die Hoheit nur einer philosophisch gedachten Enti
tät oder, mythisch und poetisch gesprochen, eines einzigen Gottes im Sinne einer
v4//einheit oder Ganzheit aufzulösen trachtete. Die Abfolge von schöpferischer
Singularität Gottes (Ursprungszustand) über die Tyrannis eines Gottes
(Entfremdungszustand) endet mit der synthetischen Ganzheit des utopischen Zeit
alters: in der perichöresis, da alle Stimmen vernehmbar, alle Götter und
gesellschaftlichen Stände nebeneinander im gleichberechtigten „Gespräch“ verei
nigt sind (vgl. Schabert 1971: 35-82; Link 1996: 7lf.).
Vor diesem Schema gewinnt die Interpretation des göttlichen Kleeblatts als
Abbild einer mehreinigen oder viereinigen Struktur des „Einzigen“ an Plausibili
tät.164 Auch die Dialektik von tätigem und leidendem Prinzip, die für die Kon
struktion der vierten (ikarischen) Instanz in der Triade von Christus, Herakles
und Dionysos wesentlich ist, findet sich in der Briefstelle reflektiert: „Alles greift
in einander und leidet, so wie es tätig wird...“ (Z. 20).
Aber Hölderlins plurales Gottesbild kann über den Horizont seiner eigenen
philosophischen Reflexion hinaus in die mystischen Spekulationsmoden seiner
Zeit und seines pietistischen Umfeldes eingebettet werden. Karl Philipp Moritz
hat dieser spleenigen Mystik mit seinem „Landprediger“-Romän in zwei Teilen
Andreas Hartknopf. Eine Allegorie (1786) und Andreas Hartknopfs Predigerjahre
(1790) ein Denkmal gesetzt. Dazu ein kurzer Exkurs.
Nach einem theologischen Studium in Erfurt soll der Landprediger Andreas
Hartknopf im spießigen Ribbeckenau eine Pastorenstelle antreten. Zwischen dörf
licher Bigotterie, protestantischer Orthodoxie und pietistischer „Schwärmerey“
hat der Neuling zu bestehen. So predigt er den polemisch gegen ihn eingenom
menen Bauern und Kleinbürgern seine aussöhnende Lehre von der
„Viereinigkeit“. In tragikomischer Pose verehrt Hartknopf seinen mystisch inspi
rierten Lehrer als „neuen Elias“ und Messias. Dabei lehrt er einen viereinigen
Gott, dem neben „Sohn“ und „heiligem Geist“ noch das „Wort“ zur Seite tritt.
164 Vgl. Der Einzige’ III, VV. 73-78 (KHA II: 1499): „Es bleibet aber eine Spur / Doch eines
Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber / Die Wüste. So sind jene sich gleich.
Erfreulich. Herrlich grünet / Ein Kleeblatt. Schade war’ es, dürfte von solchen / Nicht
sagen unser einer, daß es / Heroen sind.“