Page 27 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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Disposition, Methodik und Begriffe 25
einer „politischen“ Theologie.28 Der Empedokles, Hölderlins späte Bemühung um
Sophokles und das Projekt einer „tragischen“ Ode orientieren sich an der
griechischen Tragödie als die politische Kunst. Die Religion wiederum ist
Ursprung dieses Politischen.
Für die einzelnen Phasen von Hölderlins Entwicklung möchte ich zwei rhe
torische Figuren als strukturelles Bild verwenden: Parallelismus und Chiasmus.
Hölderlin modifiziert die antithetische Denkfigur des orientalischen Dualismus
zum dialektischen Denken seiner messianischen Mythogenese (2). Der „Chiasmus“
ist dabei Gegenfigur zum „Parallelismus“. Ausgehend von der philologischen
Bedeutung des Parallelismus (2.1) versuche ich zu zeigen, wie Hölderlin sich diese
Kunstform poetisch aneignet und sie mit einer Gegenfigur steigert, dem Chiasmus
(2.3). Uber die philosophischen Implikationen des Parallelismus erschließt sich
der Chiasmus auch als beschreibender Begriff für Hölderlins Entgegensetzungs-
Ästhetik: auf die „parallelistische“ oder dualistische Stufe seines Denkens folgt die
„chiastisch“ dialektische (2.2).
Die moderne Bibelexegese des Tübinger Orientalisten und Stiftslehrers
Christian Friedrich Schnurrer scheint der Schmelztiegel gewesen zu sein, aus dem
die besondere Legierung von Hölderlins poetisch-politischer Theologie hervor
gegangen ist. Vor allem interessiert die Frage, ob es in Hölderlins messianischem
Denken eine gleichsam „jüdische Tendenz“, ein apokalyptisches Element gibt. Be
sondere Aufmerksamkeit verdient dabei die Rolle des semitischen Logos im
Unterschied zum griechischen. Eine mögliche „Rejudaisierung“ christlicher Theo-
logeme auf ihre Ursprünge im Alten Testament und in der jüdischen
Weisheitslehre ist ebenfalls zu prüfen. Dafür wird Hölderlins Rezeption des
„Fragmentistenstreits“ wichtig (3). Die Kontroverse war Hölderlin durch
28 Der Begriff der „Politischen Theologie“ ist polemisch und deskriptiv zugleich. Das gilt
schon für seine Verwendung bei Carl Schmitt (1922; 1963 [1932]), der den Terminus in die
moderne Säkularisierungsdebatte eingeführt hat (vgl. Meier in Assmann 21995: 7ff.;
Assmann ebd. 23-38). Schmitt postuliert mit Politischer Theologie die konservative
Programmatik katholischer „Schriftsteller der Restaurationszeit“ Qoseph de Maistre,
Bonald, Donoso Cortes) gegen den Anarchismus Michail Bakunins (vgl. Meier ebd. 13,
Anmerkung Nr. 15; Schmitt 1932:64). Zugleich beschreibt Schmitt aber auch seinen
atheistischen Widersacher als „Theologen des Anti-Theologischen“ (vgl. Meier ebd. 14).
Das doppelte Wesen des Begriffs hat sich bis in die jüngste Debatte erhalten, so verwebt
Jacob Taubes in seiner Auslegung des Römerbriefes analytische Beschreibung und
judaisierende Deutung der „politischen Theologie“ des Paulus. Hölderlin reiht sich dabei
in die Tradition der primären „Verkündigung“ theologischer Herrschaftslegitimation, etwa
im Sinne Vergils (vgl. ‘Griechenland P, V. 19). Der Begriff einer theologia politike (im Sinne
der späteren theologia civilis bei Marcus Terentius Varro [116-27 v. Chr.]) findet sich
dagegen nicht in Hölderlins Theoriesprache. Eine schwache Verbindung zu Hölderlin
kann man über Spinozas Tractatus theologico-politicus konstruieren, wovon ich noch in
Kapitel II. 1 handeln werde (vgl. auch Assmann 21995: 25, Anmerkung Nr. 5).