Page 37 - Robert Charlier: Heros und Messias (1999)
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Disposition, Methodik und Begriffe            35


       philosophische,  sondern  auch  eine  eschatologische  und  ästhetische  Konnotation.
       Er verwendet dialektische Mythenbilder für theologische Denkfiguren.
           Jacob  Taubes unternimmt  es,  den  herkömmlichen  Begriff von  Dialektik  zu
       korrigieren, um ihn einer historischen Denkweise anzuschmiegen:

           Die  Logik  der  Dialektik,  sei  es  in  der  Apokalyptik  und  Gnosis,  sei  es  bei  Hegel  ist
           nicht  .kreisförmig*  sondern  eher  spiralisch.  Die  der  Dialektik  eigentümliche
           .Zurückbiegung*  führt  nicht  kreisförmig  zur  Thesis  zurück,  sondern weitet  sich  spi­
           ralisch zur Synthesis.  (Taubes  1991: 35).
       Das führt  mitten  in  die Säkularisierungsdebatte der Moderne:  Ist  die  dialektische
       Geschichtsphilosophie  (Schiller,  Hegel,  Benjamin)  etwas  grundsätzliches  Neues
       und  aus  sich  selbst  legitimiert  (vgl.  Blumenberg 21988)?  Oder  sind  moderne  Ge-
       schichtsle/eo/ogze«  nicht  letztlich  alte  Geschichtstheologien  in  säkularem  Gewand
       (vgl. Schmitt  1922;  1987 [1927]; Koselleck  1973; Taubes 1973)?
           Für  die  Diskussion  von  Hölderlins  Messianismus  bleibt  festzustellen:  Im
       folgenden  meint  „Dialektik“  immer  Hölderlins  Vorstellung  von  „harmonischer
       Entgegensetzung“ auf philosophischer, eschatologischer und ästhetischer Ebene.
       Wort  und  Wesen  des  Messianismus.   Hebräisch  „[ham]  maschlach“   heißt
       „Gesalbter“  (etymologisch  von  „Ol“  abgeleitet,  vgl.  RGG  IV,  Sp.  902).  Mit  der
       Apposition  „Gesalbter“  bezeichnet  die  Überlieferung des Alten  Testaments35  die
       Gestalt  des  königlichen  Erlösers  oder  Retters,  der  von  Gott  gesandt,  das
       Himmelreich  mit  dem  Weltgericht  auf Erden  einläutet.  Die Formel  bezieht  sich
       auf die unterschiedlichsten Träger:  Die  „Salbung“  spielt  zunächst  unmittelbar auf
       die verheißene Abstammung des messianischen Idealkönigs aus dem Hause Davids
       an;  aber  auch einer anderen,  sogar  nichtjüdischen  Fürstengestalt,  wie dem Perser
       Kyrus  bei Jesaja,  kann  diese  Rolle  zukommen.  Auch  mythischen  Führerfiguren,
       wie  dem  Erzengel  Michael  bei  Daniel  (Da  12,Iff.),  wird  Messianität  übertragen.
       Unabhängig von  der offenen Pluralität  der vielen  messianischen Ideen kann  man
       die Fülle der historischen „Messianismen“ typisieren.
           Leo  Baeck  isoliert  zwei  Messiasjdeen,  eine  ältere  „prophetische“  und  eine
       jüngere  „apokalyptische“  (Baeck  1961:  7-37).  Die  prophetische  Messiasidee  ist


        35  Eine  Zusammenstellung der  messianischen  Verheißungen  des  Alten  Testaments  muß  die
           apokalyptisch-prophetischen  Überlieferungen  in  ihrer  gesamten  Breite  berücksichtigen,
           also  auch Texte, die  über die  Apokryphen der ökumenischen Bibelübersetzungen hinaus­
           gehen, wie z. B. die Henoch- und die Baruch-Apokalypse oder die Schriften von Qumran.
           (Zink  “ 1990:  540-557).  Im  Alten  Testament  kann  man  im  terminologisch  engeren  Sinne
           noch  nicht  von  Messias-Erwartung  sprechen:  dem  erwarteten  König  der  Heilszeit  wird
           nämlich  nur eine  untergeordnete  Rolle  neben Jahwe  zugetraut  (z.  B.  3  Mo  4-6; Js  45,  1).
           Doch bereits vor der vollen Souveränität des Würdenamens „Messias“ kann man von Mes­
           sianismus  auf der  phänomenalen  Ebene  sprechen:  Den  ideellen  Gehalt  gab  es  schon  vor
           dem  Wort  als  Königstitel  (z.  B.  Nathansverheißung  im  Rückblick  auf David,  2 Sam  7  -
           vgl. RGG IV, Sp. 902)
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