Page 122 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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Liebhabertheater
Aus dem Umfeld Goethes bekanntgewordene Bezeichnung für eine
Amateurtheatergruppe (auch: »Liebhaberbühne«). Diese Form von
»Gesellschafts-« oder »Privattheater« wurde fast ausschließlich von
Angehörigen der beiden höheren Stände gepflegt, also Hofadel und
Stadtbürgertum. Vergleichbare Aktivitäten von Theaterlaien gab es
nicht nur in Weimar, sie waren auch anderen fürstlichen Höfen und
Residenzen üblich.
Nationaltheater
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war eine Epoche bis dato
nicht gekannter Umwälzungen. Im Juli 1789 erschütterte die Fran-
zösische Revolution die alte Welt in ihren Grundfesten. Immanuel
Kant hatte zuvor die einschneidenste Veränderung des mensch-
lichen Selbstverständnisses formuliert, die es seit Jahrhunderten
gegeben hatte. »Sapere aude!« ›Wage es, dich in freier Weise
deines Verstandes zu bedienen!‹ Diese Aufforderung Kants initi-
ierte jenen »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
Unmündigkeit«, den man in Anlehnung an die französischen Re-
volution auch die ›Kantische Revolution‹ genannt hat. Das heilige
römische Reich deutscher Nation war um 1770 ein unübersicht-
licher Flickenteppich. Eine deutsche Nation existierte noch nicht, es
gab weder eine einheitliche Währung noch eine über Dutzende von
Zollgrenzen hinaus einheitlich gültige Wirtschaftsordnung. Mit der
Invasion der französischen Revolutionsarmneen ab 1792 richteten
sich die neuen ideologischen Kräfte des Umsturzes auch gewaltsam
gegen die altständische Ordnung auf deutschem Reichsgebiet. In
diesem Umfeld emanzipierte sich das bürgerliche Subjekt. Politisch
ohne Macht, strebte das gebildete Bürgertum danach, den neuen
Geist zumindest auf kulturellem Gebiet einziehen zu lassen. Litera-
tur und Pressewesen, bildende Kunst und Theater wurden zu einer
Bühne des Ausgleichs für all das, was man staatsrechtlich nicht
durchzusetzen vermochte. Vor diesem Hintergrund wurden auch die
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