Page 22 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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Weise führt Iffland schließlich aus:
»[...] ich [...] ersuchte denselben [gemeint ist der Wiener Gewährsmann
Ifflands; Anm. R. C.] ›Herrn von Kleist mündlich zu sagen, daß das
Stück, dessen poetisches Verdienst ich erkenne, ohne gänzliche
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Umarbeitung auf der Bühne sich unmöglich halten könne.‹«
Die Lektüre dieser Absage geht unter die Haut. Denn unwillkürlich
liest man ja bei diesen Briefzeugnissen die historische Tatsache mit,
dass der verkannte Dichter sich im gleichen Jahr das Leben nehmen
sollte. Am 21. November desselben Jahres erschoss sich Kleist mit
seiner Gefährtin Henriette Vogel am Kleinen Wannsee bei Berlin.
Was für ein Fehlurteil des Ausnahmeschauspielers, Erfolgsautors
und professionellen Theaterleiters Iffland!
Der erste Teil des Bändchens enthält den Briefwechsel zwischen
Schiller(umfeld) und Iffland in Auswahl und umfasst insgesamt 40
Briefe. Der zweite Teil bietet die Briefe von Goethe an Iffland und
dessen Nachfolger Karl Graf Brühl (31 Briefe). Im dritten Teil
folgen weitere 41 Briefe, und zwar in Form einzelner kurzer Teil-
briefwechsel zwischen Iffland und seinen jeweiligen Austausch-
partnern. Von einem Altmeister des damaligen Literaturbetriebs wie
Christoph Martin Wieland gibt es nur einen Brief zu lesen.
Im Übrigen ergibt sich die folgende Briefverteilung; in Klam-
mern steht jeweils die Anzahl der abgedruckten Briefe je Brief-
partner insgesamt: Kleist (2 Briefe), August Wihelm Schlegel (6),
Ludwig Tieck (8), Zacharias Werner (17), August Friedrich
Ferdinand von Kotzebue (5) und Pius Alexander Wolff (2). Nach
Ifflands Tod im Jahr 1814 rückt Karl Graf Brühl als dessen
Nachfolger im Amt des Berliner Theaterleiters ins Zentrum dieses
brieflichen Netzwerkes. Die editorische Leistung des Herausgebers
Curt Müller besteht darin, dass er mit Iffland und Brühl zwei zu
ihrer Zeit hochangesehene Theaterpraktiker in den Mittelpunkt
rückt, die einem Leser von heute eher weniger bekannt sein dürften.
Zwei Vertreter aus der zweiten (oder sogar dritten) Reihe des
literarischen Kanons erweisen sich so als Briefpartner, die den
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Zitiert nach C. Müller 1910, S. 144 (Brief Nr. 3)
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