Page 24 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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erwidert. Möglicherweise setzte der Editor C. Müller damit bereits
unterschwellig eine höhere Kanonposition Goethes gegenüber
Schiller voraus. Immerhin bleiben die Goetheschen Schreiben auf
diese Weise eine Art Briefmonolog und damit ›unnahbar‹ im Raum
stehen. Ein lebendiges Briefgespräch stellt sich so erst im dritten
und längsten Teil des Bandes ein. Dort dokumentiert der Editor die
Korrespondenz Ifflands und Brühls mit Wieland, Kleist, Schlegel,
Tieck, Werner, Kotzebue und all den übrigen bereits genannten
Vertretern der zeitgenössischen Literatur und Dramatik.
Im dritten Teil kommt die Gesamtkonstellation von Briefpartnern
überhaupt erst zur vollen Geltung. Denn hier sind es die ›hohen‹
Vertreter der klassischen und romantischen Theaterliteratur der
Goethezeit, die bei heute eher in den Hintergrund gerückten
›Machern‹ wie Iffland oder Graf Brühl brieflich ›anklopfen‹ und in
teils vollendeter Höflichkeit antechambrieren. Was zähe Verhand-
lungen um Geld und Anerkennung nicht ausschließt. Dabei entfaltet
sich eine Art Umkehreffekt. Die Vertreter des literarischen Kanons
bemühen sich bei den heute eher Vergessenen. So sondiert eine
graue literarische Eminenz wie Wieland (S. 140ff.), ob Iffland nicht
ein Lustspiel seines ältesten Sohnes für eine Aufführung am
Berliner Nationaltheater in Betracht ziehen könnte! Selbst ein
Dramatikergenius wie Schiller kommt nicht umhin, jedes Detail der
Aufführung seiner großen Tragödien mit dem gewieften Pragma-
tiker und erfahrenen Bühnenprofi Iffland auszuhandeln. Es erweist
sich im Rückblick, dass es oftmals Iffland war, der den richtigen
Kniff kannte und Schillers Bühnenkolosse nicht nur auf die Berliner
Bühne stellte, sondern sie auch zum Laufen brachte (S. 15-72).
Einem August Wilhelm Schlegel muss Iffland von vorneherein
sämtliche Flausen austreiben. Denn als viel zu umrealistisch erwei-
sen sich dessen Erwartungen, seine antikisierenden Stücke in klas-
sischen Versmaßen wie der Ion könnten sich zu großen Erfolgen
mausern (S. 145-152). Ludwig Tieck gibt sich derart empfindlich
gegenüber jeglicher Kritik, dass Iffland ihm zunächst wortreich den
Rücken stärken muss, bevor an eine Inszenierung von dessen
Stücken überhaupt zu denken ist (S. 152-167). Auch die Unvor-
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