Page 32 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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Kinder nicht gerade eingängig. Racine griff darin erstmals in seinen
Stücken einen Stoff der römischen Geschichte auf, und immerhin
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verkörperte Goethe darin den Kaiser Nero. Schon bei seinen
Deklamationsübungen mit dem jungen De Rosne hatte Goethe nach
eigenen Angaben forsch und unbedarft auf die Racine-Ausgabe(n)
in der Privatbibliothek des Vaters Johann Caspar Goethe zurück-
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gegriffen. Mit der Erzählung aus der Rückschau verbindet Goethe
die beiden konträren Sphären seiner jugendlichen Bildung der
starre Bücherstolz des autoritären Vaters hier und die jugendliche
Selbsterprobung in der ›mütterlichen‹ Phantasiesphäre des Theaters
dort.
Ein biografisch zunächst peripheres, historisch jedoch überaus
denkwürdiges Ereignis stellt die Begegnung mit Wolfgang Ama-
deus Mozart am 7. August 1763 in Frankfurt dar. Bei seinem
Gastspiel in Frankfurt beeindruckte das Wunderkind auf dem
Klavier. Andere Quellen sprechen davon, Mozart habe auf der
Orgel, dem Cembalo und der Violine gespielt. Mit seinen 14 Jahren
erlebte Goethe dieses Ereignis jedenfalls ohne die geringste
Ahnung, welch ein Jahrhundertgenius sich in dem gerade einmal
halb so alten siebenjährigen Knaben ankündigte. Die öffentliche
Zurschaustellung des hochbegabten Virtuosen als sensations-
heischende Show trug sicherlich auch für den kindlichen Zuschauer
Goethe Züge einer effekhascherischen Inszenierung. Solche Jahr-
marktssensationen gehörten allerdings fest zur Erlebniswelt des
späten 18. Jahrhunderts.
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»Er [J. D. Olenschläger, 1711-1778; Anm. R C.] veranlaßte die Kinder um
1765 zu Aufführungen von Racines Britannicus mit G.[oethe] als Nero und
J. E. Schlegels Canut mit G.[oethe] als König.« (Wilpert 1998, S. 787)
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Es handelt sich um die folgende Ausgabe: »Racine, Jacques [eigentlich:
Jean-Baptiste, 1639-1699]: Oeuvres. Tome 1. 2. Paris 1736« (zitiert nach
Franz Götting: Die Bibliothek von Goethes Vater. Systematischer Katalog
der Bibliothek. In: Nassauische Annalen 64 (1953), S. 23-69; hier S. 55)
In der Bibliothek von Johann Caspar Goethe allerdings ebenso nachweisbar
ist eine Corneille-Ausgabe: »Corneille, Pierre: Le Theatre P. 1-5. [o. O.
u. J.]« (ebd. S. 54).
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