Page 35 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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ersten  akademischen  Abschlussprüfung.  Seine  Theateraktivitäten
                        kamen daher weitgehend zum Erliegen. Bald nach der Rückkehr in
                        seine Vaterstadt beantragte er am 28. August 1771 seine Zulassung
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                        als  Rechtsanwalt.   Fortan  vertrat  er  zahlreiche  Mandate  vor  dem
                        Frankfurter Schöffengericht, darunter auch jüdische Mandanten. Im
                        Mai 1772 trat Goethe sein Referendariat am Reichskammergericht
                        zu Wetzlar an. Wieder musste seine Begeisterung für das Theater
                        zurückstehen. Die Vorbereitung auf den Brotberuf stand im Vorder-

                        grund. Aus der Rückschau schildert Goethe, dass die Lust auf das
                        Theaterspielen  jedoch  selbst  unter  lauter  vermeintlich  trockenen
                        Juristen kuriose Blüten trieb. Anlässlich der sogenannten Rittertafel
                        trafen sich die Wetzlarer Honoratioren und Studenten im Wirtshaus,

                        um in geselliger ›Ordensrunde‹ in die Rollen von mittelalterlichen
                        Rittern  zu  schlüpfen  und  sich  in  froher  Runde  über  englische
                        Literatur auszutauschen. »Mich nannten sie Götz von Berlichingen,
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                        den  Redlichen«,   wird  Goethe  später  in  Dichtung  und  Wahrheit
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                        berichten. Goethe erzählt vom »fabelhaften Fratzenspiel«,  wobei
                        die Anwesenden scherzhaft festgelegte Rituale praktizierten, einen
                        »Ritterschlag«  nachspielten  und  literarische  Lesefrüchte  zum
                        Besten gaben. Der theaterähnliche Charakter der Veranstaltung liegt

                        auf der Hand  auch wenn Goethes Schilderung zum Schluss eher
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                        typische  Merkmale  eines  logenhaften  Rituals  herausstreicht.
                        Wohin  das  gesellige  Spiel  tendierte,  zeigt  das  Ende  der
                        Beschreibung.  Darin  betont  Goethe,  dass  er  in  Wetzlar  die

                        inspirierende  »Frankfurter  und  Darmstädter  Umgebung  ver-
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                        mißte«.   Daran  knüpft  er  die  enthusiastische  Schilderung  seiner
                        ersten Begegnung mit Friedrich Wilhelm Gotter (1746-1797). End-




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                           Vgl. z. B. Johannes Meisner: Goethe als Jurist, Berlin 1885, S. 21f.
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                           Weim.  Ausg.,  I.  Abt.,  Bd.  28,  1890,  S.  136  (Dichtung  und  Wahrheit,
                           12. Buch).
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                           Ebd., S. 137.
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                           Vgl. ebd. (wie in Anm. Nr. 34), S. 138 sowie im Kapitel »Selbstzeugnisse:
                           J. W. G.«, Punkt 3, ›Wetzlarer Rittertafel‹.
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                           Ebd.





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