Page 37 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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auch für Bürgerliche offen. Nach dem Theaterbrand vom Mai 1774
und dem Weggang der Seylerschen Theatertruppe gab es zeitweise
nur noch zwei informelle Theaterzirkel. Zum einen hatte sich, und
hier folge ich ausschließlich der Darstellung von E. Biedrzynski
(1992a, S. 268-273), ein Kreis von theaterspielenden Aristokraten
unter der Leitung von Graf Putbus gebildet. Dort spielte man in
französischer Sprache. Eine weitere Theatergruppe aus bürgerlichen
Mitgliedern stand unter der Federführung des Mäzens und
Verlegers Bertuch und spielte auf Deutsch. Das Liebhabertheater
führte beide Gruppen zusammen, und unter Goethe spielte fortan
»der halbe Hof, die halbe Stadt« zusammen (Biedrzynski 1992a,
S. 268).
Goethes Engagement für das Liebhabertheater blieb über die
folgenden Jahre bis 1782 eine fruchtbare Mischung aus eigenen ak-
tiven Anteilen als Darsteller sowie als Autor von Sprechtexten und
Libretti. Schließlich zeichnete er als Regisseur und wir würden
heute sagen künstlerischer Leiter für alle Produktionen verant-
wortlich. Zwar nahmen die administrativen Leitungsaufgaben all-
mählich zu. Dennoch bildete die Zeit beim Liebhabertheater die
wohl produktivste Zeit mit Blick auf Goethes praktische Theater-
arbeit, speziell sein Wirken als Amateurschauspieler. Zu den Auf-
führungen im kleineren Kreise sind Zeugnisse überliefert, die auch
aus heutiger Sicht eine durchaus kritische Einschätzung der
Bühnenperformance des frischgebackenen Ministers Goethe zu-
lassen. Eine der ersten überlieferten Aufführungen galt einer alle-
gorischen Inszenierung der Heiligenlegende Die Versuchung des
heiligen Antonius, von der die Textvorlage nicht überliefert ist.
Goethes Diener Philipp Seidel, bei der täglichen Theaterarbeit als
Faktotum für alle praktischen Dinge sehr engagiert, vermittelt einen
anschaulichen Eindruck einer solchen Aufführung:
»Die Versuchung, des heiligen Antonius stellte es [die Redoute] vor, der
in einer Höhle vor Buch und Todenkopf saß, dann kam ein Teufel nach
dem anderen und ängstete ihn und suchte ihn zu quälen und irre zu
machen. Der Teuel stellte ein Laster vor, von dem er Teufel war; mein
Doctor [d. h. Goethe; beide Anm: R. C.] war der Hochmuths-Teufel kam
mit Pfauenschwanz, Flügeln und aufgeblaßen auf Stelzen herein. Das
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