Page 38 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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letzte war die Wollust, die zwischen den Geilheits- und bocksfüßigen
Teufeln hertrat und ihn mit Bitten und Kniefallen zu bewegen suchte.
Umsonst. Sie warfen ihn mit Feuer, umzingelten ihn und tanzten mit
großen Gebärden um ihn herum, der vergeblich zu entfliehen suchte, sie
aber doch zuletzt mit Darzeichnung eines Spruches wegscheuchte. Alles
war natürlich und schauerlich nicht leichtfertig. So gut wie 2 Comoe-
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dien.«
Seidels Rede von »seinem Doktor [Goethe]« gibt einen Hinweis auf
die atmosphärische Aufnahme Goethes in seinem ersten Weimarer
Amtsjahr. Goethe war ja bereits im Vorfeld seiner Berufung durch
das Götz-Drama und vor allem den Werther-Roman zu einiger
Berühmtheit gelangt. Dennoch scheint das Bild Goethes bei den
Angehörigen des Weimarer Hofes, seinen Ministerkollegen und
Bediensteten gerade nicht primär durch diesen literarischen Ruhm
geprägt gewesen zu sein. Vielmehr titulierte man den noch jungen
Absolventen der Jurisprudenz oft und gerne mit der allfälligen An-
rede »Herr Doktor«. Gemeint war damit natürlich der juristische
Doktortitel, den man Goethe schon unmittelbar nach dem Ab-
schluss seines Studiums in Straßburg allenthalben und nur allzu be-
reitwillig unterstellte. In seiner Zeit als niedergelassener Rechts-
anwalt in Frankfurt zeichnete Goethe sogar seine formellen
Gerichtseingaben mit dem Doktortitel! Dabei hatte Goethe in
Straßburg lediglich das Lizenziat beider Rechte erworben (was
einem ersten einfachen Abschluss-Examen entspricht) und durfte
sich rechtmäßig Licentiatus Juris utriusque nennen. Der Verweis
auf ›beide Rechte‹ meinte das römisch-kanonische sowie das welt-
lich-zivile Recht der vornapoleonischen Epoche. Dieses kleine De-
tail innerhalb der überlieferten Anredepraxis jener Zeit doku-
mentiert bereits anschaulich, wie Goethe sich auch außerhalb der
eigentlichen Theaterbühne geschickt zu inszenieren wusste. Der
akademische Titel, durch Anpassung und Bildungsfleiß hart er-
arbeitet, kaschierte möglicherweise das Image eines allzu
schwärmerischen ›Musenjünglings‹, das sich mit Blick auf den
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Goethes Diener Philipp Seidel an Johann Adam Wolf vom 29. Februar und
1. März 1776, zitiert nach Sichardt 1957, S. 98 (Anm. Nr. 438).
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