Page 39 - Robert Charlier: Goethe und August Wilhelm Iffland (1779-1814)
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theaterbegeisterten  Amtsmann  Goethe  ja  durchaus  aufdrängte!
                        Denkbar  ist  auch  der  Fall,  dass  Goethe  seinen  vermeintlichen
                        Doktorgrad gar nicht aktiv ventilierte. Vielleicht nahmen ihn seine
                        Weimarer Zeitgenossen von sich aus mit einem solchen auratischen

                        Vorschuss wahr. Man schrieb ihm demnach einen Rang oder eben
                        eine ›Rolle‹ zu, die er realerweise gar nicht innehatte. Dabei han-
                        delte  es  sich  quasi  um  das  Rollenfach  des  zwischen  Amt  und
                        Bühnenkunst  virtuos  interagierenden  Amtsministers  und  Theater-

                        enthusiasten  ›Doktor‹  Goethe!  Denn  der  erwies  sich  als  echtes
                        Allroundtalent.  Gekonnt  verstand  er  es,  seine  für  einen  Neuan-
                        kömmling  vergleichsweise  hohe  Amtsposition  mit  seinen  künst-
                        lerisch-praktischen  Ambitionen  zu  verbinden.  Und  dies  geschah,

                        ohne  als  Neuling  im  diffizilen  Interessengeflecht  einer  Hofge-
                        meinschaft  anzuecken,  also  innerhalb  einer  Gemengelage,  die
                        unterschwellig von Intrigen und Machtinteressen geprägt war. Mit
                        seiner Übernahme des Liebhabertheaters gelang es Goethe zudem,

                        Angehörige  des  Hofes  und  des  Weimarer  Bürgertums  auf  gleich-
                        berechtiger  Stufe  einzubinden  und  ihre  individuellen  Begabungen
                        und  Fertigkeiten  ohne  Ansehen von  Alter,  Geschlecht  oder  Stand
                        zur Geltung zu bringen. Heute lesen sich diese Charakterisierungen

                        wie die Vorläufer von Prinzipien moderner Teamführung.
                          Als kleine höfische Institution bestand das Liebhabertheater kon-
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                        tinuierlich  von  1774  bis  1782.   Am  6.  Mai  1774  brannte  das
                        Weimarer Stadtschloss (Wilhelmsburg), fast vollständig nieder. Die

                        bis dato rege bespielte Theaterbühne im Ostflügel des Baus wurde
                        dadurch völlig zerstört. Das Liebhabertheater diente somit auch als
                        informelles  Ersatztheater  am  Weimarer  Hof.  Nachdem  ein  eigen-
                        ständiger  Neubau  abgeschlossen  war,  übernahm  Goethe  1782  die

                        Leitung des Weimarer Hoftheaters, die er bis 1816 behielt. Aus dem
                        Zeitraum zwischen 1776 und 1782 sind nach Wilpert (1998) etwa
                        zwanzig  Schauspielrollen  überliefert,  die  Goethe  im  Rahmen  des



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                           Das  Liebhabertheater  wurde  nach  1782  nur  noch  gelegentlich  im  engsten
                           Hofkreise wiederbelebt, so etwa zur Aufführung von Goethes Maskenspiel
                           Paläophron und Neoterpe (Alte und Neue Zeit), das er zu Ehren von Anna
                           Amalias 61. Geburtstag im Oktober das Jahres 1800 aus dem Stegreif schuf.






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